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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Privaträume zu spähen. Unerklärlicherweise war es eine dieser anonymen Hilfskräfte, auf die Caroline losging. Sie war in ihrem Rollstuhl auf der Veranda platziert worden, nah genug an der Terrasse, damit sie die Musik hören konnte, aber noch im Schutz des Hauses. Leute schlenderten zu ihr hinüber, um ihr ihre Aufwartung zu machen, und beugten sich ungelenk vor, um nicht von oben herab mit ihr zu sprechen, doch sie trieben wieder davon, sobald es die Höflichkeit erlaubte. Manche begrüßte Caroline mit einem geistesabwesenden Ni cken. Andere ignorierte sie einfach. Und dann ging eine Kellnerin lächelnd zu ihr hinüber und bot ihr etwas von einem Tablett an.
    Sie war dunkel, daran erinnere ich mich, und sehr jung, vielleicht noch nicht einmal zwanzig. Beth und mir war sie schon aufgefallen, weil wir sie um ihr Haar beneideten. Sie hatte einen sehr dunklen Teint und wunderbares, üppiges schwarzes Haar, das ihr in einem dicken Zopf über die Schulter hing. Es war so tiefschwarz und glänzend wie Tinte. Dazu hatte sie einen glatten, rundlichen Körper und ein glattes, rundliches Gesicht mit dunkelbraunen Augen und roten Wangen. Sie könnte Spanierin gewesen sein, oder Griechin vielleicht. Beth und ich waren gerade in der Nähe, weil wir ihr schon seit einer Weile folgten. Wir fanden sie unglaublich schön. Aber als Caroline aufblickte und das Mädchen sah, weiteten sich ihre Augen, und ihr blieb der Mund offen stehen – ein feuchtes, lippenloses Loch in ihrem Gesicht. Ich war nah genug, um zu erkennen, dass sie zitterte, und die Kellnerin runzelte erschrocken und besorgt die Stirn.
    »Magpie?«, flüsterte Caroline. Durch den keuchend ausgestoßenen Atem klang das Wort so vage, dass ich erst dachte, ich hätte mich verhört – hier war doch keine Elster. Aber sie wiederholte es mit festerer Stimme. »Magpie, bist du das?« Die Kellnerin schüttelte bedauernd den Kopf, aber Caroline warf mit einem heiseren Aufschrei die Arme hoch. Meredith schaute zu ihrer Mutter herüber und runzelte die Brauen.
    »Geht es dir nicht gut, Mutter?«, fragte sie, doch Caroline ignorierte sie und starrte weiterhin mit einem Ausdruck puren Grauens auf dem Gesicht die dunkelhaarige Kellnerin an.
    »Das ist nicht möglich! Du bist tot! Ich weiß, dass du tot bist …« Sie heulte laut auf.
    »Ist schon gut«, sagte das Mädchen und wich von der alten Frau zurück. Beth und ich beobachteten fasziniert, wie Tränen über Carolines Wangen liefen.
    »Tu mir nichts … bitte tu mir nichts«, krächzte sie.
    »Was geht hier vor?«, verlangte Meredith zu wissen, die neben ihre Mutter trat und die hilflose Kellnerin anfunkelte, die nur ratlos den Kopf schütteln konnte. »Mutter, sei still. Was hast du denn?«
    »Nein! Magpie … wie ist das möglich? Ich war sicher, dass ich dir nicht … Ich wollte das nicht …«, stammelte sie mit flehender Stimme und hob die flatternden Finger zum Mund. Ihr Gesichtsausdruck war fassungslos, gequält. Die Kellnerin entschuldigte sich mit unbehaglichem Lächeln und ging weg. »Magpie … warte, Magpie!«
    »Genug jetzt! Hier gibt es keine Magpie! Um Himmels willen, Mutter, reiß dich zusammen«, herrschte Meredith sie an. »Wir haben Gäste«, fügte sie scharf hinzu und beugte sich vor, um direkt in Carolines Ohr zu sprechen. Aber Caroline starrte immer noch der jungen Frau mit dem schwarzen Haar nach und suchte verzweifelt die Menschenmenge nach ihr ab.
    »Magpie! Magpie!«, rief sie weinend. Sie packte Mere diths Hand und fixierte ihre Tochter mit einem verzweifelten Blick aus weit aufgerissenen Augen. »Sie ist zurückgekehrt! Lass nicht zu, dass sie mir etwas antut!«
    »So, das reicht. Clifford – komm her und hilf mir.« Meredith winkte ihren Sohn energisch zu sich herüber, und gemeinsam drehten sie Carolines Rollstuhl um und manövrierten ihn durch die hohen Flügeltüren. Caroline versuchte sie daran zu hindern, verdrehte den Hals, um nach dem Mädchen zu schauen, und rief immer wieder diesen Namen. Magpie, Magpie. Soweit ich mich erinnern kann, war dies das erste und einzige Mal, dass sie mir leidtat, weil sie so verängstigt klang, und so unendlich traurig.
    »Magpie, richtig. Komischer Name, Elster «, sage ich, als Beth verstummt, ihren langen Zopf löst und sich mit den Fingern durchs Haar streicht. »Für wen sie dieses Mädchen wohl gehalten hat?«
    »Wer weiß? Sie war damals offenbar schon ziemlich verwirrt. Sie war über hundert, vergiss das nicht.«
    »Glaubst du, Meredith wusste es?

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