Das Geheimnis der Götter
ein.
»Familiengeschichten kümmern mich nicht.«
»Vielleicht aber mein amtlicher Auftrag. Sesostris wünscht, dass ich den Ärger aus dem Weg räume, der für Unfrieden unter den Priestern sorgt, und dass ich die Herstellung der neuen geweihten Gegenstände für die Feier der Mysterien des Osiris überwache.«
Dieser Erklärung folgte langes Schweigen.
»Königlicher Sohn, Einziger Freund, Gesandter des Pharaos… Wirklich sehr beeindruckende Auszeichnungen! Ich lebe hier schon seit jeher, ich hüte das Haus des Lebens und seine heiligen Archive, ich gewährleiste die einwandfreie Ausübung der Pflichten, die den ständigen Priestern anvertraut wurden, und dulde keine Entschuldigung, wenn sich jemand einen Fehler zu Schulden kommen lässt. Niemand hat mir je einen Vorwurf gemacht, der König schenkt mir nach wie vor sein Vertrauen. Und für die Ritualisten lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Seine Majestät ist da nicht so zuversichtlich. Könnte es nicht vielleicht sein, dass Eure Wachsamkeit nachgelassen hat?«
»Ich verbitte mir diesen Ton, junger Mann!«
»Mein Alter tut da nichts zur Sache. Erklärt Ihr Euch nun bereit, meine Nachforschungen zu unterstützen, oder nicht?«
Der Kahle wandte sich an Isis: »Was ist denn Eure Meinung dazu?«
»Uns auseinander zu reißen, käme einem großen Unglück gleich. Wenn Ihr Iker Eure Unterstützung entzieht, werden seine Kräfte nicht ausreichen. Und der Baum des Lebens bleibt in Gefahr.«
»Der strotzt doch nur so vor Gesundheit«, empörte sich der Kahle. »Taucht er etwa nicht seine Wurzeln tief ins Urmeer, um die Gerechten mit dem Wasser der Wiederbelebung zu versorgen?«
»Einzig Osiris ist in der Akazie, Leben und Tod sind in ihm vereint«, erinnerte Isis. »Heute spüre ich aber, dass etwas nicht stimmt. Vielleicht kündigt sich ein Angriff neuer zerstörerischer Kräfte an.«
»Sind die Verteidigungsmaßnahmen, die der König getroffen hat, wirklich vollkommen sicher?«, fragte Iker besorgt.
»Da sollten wir uns keinen trügerischen Hoffnungen hingeben.«
»Ein Grund mehr, mögliche schwarze Schafe ausfindig und unschädlich zu machen!«, beharrte der Königliche Sohn. Nun war auch der Kahle sehr beunruhigt und wollte nicht länger mit sinnlosen Auseinandersetzungen Zeit verlieren.
»Was willst du unternehmen?«
»Ich werde die ständigen Priester einen nach dem anderen befragen, außerdem die Handwerker zusammenrufen und ihnen die Anweisungen des Pharaos überbringen. Jeder Einzelne muss seine Unschuld beweisen.«
»Dir stehen schwierige Zeiten bevor, Iker! Du bist hier fremd in Abydos und wirst so nur auf Ablehnung stoßen.«
»Ich werde ihm helfen«, versprach Isis.
»Warum sollte der Königliche Sohn Erfolg haben, wo wir alle gescheitert sind?«, wollte der Kahle wissen. »Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sich einer der ständigen Priester etwas hat zu Schulden kommen lassen. Außerdem dürfen wir unsere Hauptsorge nicht vergessen! Das Sternbild des Orion ist seit siebzig Tagen verschwunden. Erscheint es nicht spätestens heute Nacht wieder, bricht das Weltall zusammen, und die Nilschwemme, auf die wir so warten, kommt nicht.«
»Ich werde die Goldene Palette befragen«, sagte Iker. Der Kahle wirkte erstaunt. »Hat sie dir der König denn anvertraut?«
»Ja, ich habe die Ehre.«
Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Du musst sehr behutsam mit ihr umgehen. Und vergiss nicht: Nur auf gute Fragen gibt es auch gute Antworten. Jetzt müssen wir aber die Opfergaben für den Schutzgeist des Nils vorbereiten«, sagte der Oberpriester und entfernte sich brummelnd.
»Er kann mich nicht leiden«, stellte Iker fest.
»Ihm erscheint einfach jeder Fremdkörper in Abydos überflüssig. Trotzdem hast du ihn sehr beeindruckt. Ich weiß, dass er dich ernst nimmt und uns nichts in den Weg legen wird.«
»Wie schön dieses ›uns‹ klingt! Allein wäre ich zum Scheitern verurteilt.«
»Du wirst nie wieder allein sein, Iker.«
Gemeinsam gingen sie den Prozessionsweg, der in unregelmäßigen Abständen zu beiden Seiten von
dreihundertfünfundsechzig kleinen, mit Speisen und Getränken gedeckten Opfertischen gesäumt war. Sie versinnbildlichten das sichtbare und das unsichtbare Jahr und heiligten jeden einzelnen seiner Tage. In einem immerwährenden Festmahl wurde hier den himmlischen Mächten ka dargeboten. Zum Dank dafür schenkten sie den Speisen und Getränken ka. Weil diese Aufgabe so umfangreich war, halfen dem ständigen Priester, der für
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