Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
unwahrscheinlich, dass deren Besitzer sie der Raffgier des Königs überlassen haben. Bestimmt stehen die meisten weiterhin unter jüdischer beziehungsweise ehemals jüdischer Leitung. Wenn wir gut zahlen, findet sich dort auch eine Kammer für uns allein. Trocken, warm und sauber. Da wird sich der Kleine schnell erholen.«
Gerlin sehnte die Ankunft in der französischen Metropole herbei.
Die Stadt Paris erstreckte sich zu beiden Ufern der Seine und war Schnittpunkt vieler, wichtiger Handelsstraßen. Sie wuchs ständig und dehnte sich jetzt schon über die neue Stadtmauer hinaus, die König Philipp erst vor wenigen Jahren hatte errichten lassen. Der König baute die Stadt seit einigen Jahren systematisch zur Residenz und Hauptstadt seines Reiches aus. Er residierte auf der Île de la Cité, einer Binneninsel inmitten des Flusses. Dem dortigen Stadtpalast fehlte es zwar an Komfort und Weitläufigkeit, aber andererseits lebte man hier im Zentrum der Metropole. Der Kleinhandel, die Schulen und das kulturelle Leben der Stadt konzentrierten sich auf die Insel. Der König liebäugelte denn auch mit dem Gedanken, den Palast dort auszubauen, aber an größere Bauwerke war aus Platzgründen nicht zu denken. Hier half sich Philipp mit dem Bau des Louvre am rechten Seine-Ufer, einer Gegend, die sich immer mehr zum Geschäfts- und Handelszentrum auswuchs. Der trutzige Rundturm der Festung, die sowohl als Verwaltungssitz wie als Gefängnis diente, würde einmal die Stadt beherrschen, und in den schon erstellten Mauern sammelte der König jetzt die Truppen, die sich nicht gleich in Vermandois und Valois, den Verwaltungsbezirken der von Richard bedrohten Landesteile, einfinden konnten.
Herr Berthold und seine Ritter verabschiedeten sich endgültig von der »Pilgergruppe« um Herrn Martinus, wobei der Ritter Gerlin und Salomon noch einmal prüfende Blicke zuwarf. »Nun bleibt doch offen, woher ich unseren seltsamen Bader und seine ›Gattin‹ kenne«, höhnte er, als Gerlin artig vor ihm knickste. »Und dabei hoffte ich so sehr, dass sich unsere Frau Lindis als ein Weib von Adel entpuppen würde, das mir zum Abschied einen minniglichen Kuss schenkte.«
»Hört auf, meine Gemahlin zu belästigen!« Salomon schob sich energisch vor Gerlin und legte die Hand auf seinen Schwertknauf. Es waren genug Ritter und Soldaten um sie herum, Berthold würde keine offene Konfrontation suchen, zumal es als unter der Würde eines Ritters galt, die Frau eines Baders zu umgarnen.
Von Bingen zog sich denn auch lachend und mit einer abwehrenden Handbewegung zurück.
»Friede, Bader, ich will nichts von Eurer Gattin ... wenn ich nur sicher wüsste, wo ich dieses Haar und diese Augen vorher schon gesehen habe ...«
Gerlin hatte nun genug. Sie zog sich nach einem weiteren nur angedeuteten Knicks in ihren Wagen zurück. Salomon und Abram wollten gleich zur Île de la Cité weiterfahren, während Martinus noch unschlüssig war. Er musste ins Zentrum, sein Ziel war Notre-Dame. Rund um den Louvre boten sich zurzeit allerdings so gute Verdienstmöglichkeiten, dass er durchaus darüber nachdachte, noch ein paar Tage hier zu lagern. Martha sprach sich dafür aus, sie war recht geldgierig.
Leopold dagegen hatte genug von der Reise mit seinen schwierigen, streitsüchtigen Eltern. Er mochte nicht zum Scholaren geboren sein, aber sicher würde er sich anstrengen, in einer der Kathedralschulen aufgenommen zu werden. Schon, um den ständigen Zänkereien Marthas zu entgehen. Gerlin wünschte dem jungen Mann viel Glück und dankte dem Himmel, als sie Martinus und seinen Anhang hinter sich ließ. Miriam ging es ähnlich. Sie freute sich unbändig auf die jüdische oder ehemals jüdische Herberge, wozu Gerlin nur den Kopf schüttelte.
»Was habe ich denn eigentlich unter ›ehemals jüdisch‹ zu verstehen?«, erkundigte sie sich. »Ihr tut alle so, als wären wir bald wieder unter Freunden, aber die jüdische Gemeinde soll doch ausgelöscht sein, oder habe ich da etwas nicht begriffen?«
Abram grinste mal wieder vielsagend, aber Salomon wandte sich ihr verständnisvoll zu. »Erinnerst du dich nicht, was ich dir in Bamberg erklärt habe?«, fragte er freundlich. »Als du mich fragtest, ob ich in eine christliche Kirche gehen könnte, ohne meinen Gott zu lästern? Ich habe dir schon damals gesagt, dass uns im Notfall sogar erlaubt ist, uns zum Schein taufen zu lassen - solange wir uns nur weiter an Gottes Gebote halten. Wie der Einzelne diese Freiheit auslegt,
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