Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Medikus und seinen Neffen diskret weiter an andere, die über Kontakte nach Wien zu Miriams Verwandten verfügten. Briefe zu befördern würde also keine größere Schwierigkeit sein, und auch mit der Herberge erfüllten sich Salomons Hoffnungen sofort. Sie fanden ein sauberes Quartier mit angeschlossenem Badehaus, geführt von einem »ehemals jüdischen« Ehepaar. Die ältere Wirtin war entzückt von Dietmar - sie lächelte Gerlin verschwörerisch zu, als sie ihr seinen Namen nannte - und Miriam. Das schöne Mädchen mit den auffallend guten Umgangsformen gewann sofort ihr Herz, da es sie angeblich an ihre Tochter erinnerte.
»Unsere Sarah ist mit einem Tuchhändler in Al Andalus verheiratet!«, erzählte sie mit strahlendem Lächeln. »Seit bald fünfzehn Jahren, also vor ...«
Vor dem Edikt zur Ausweisung der Juden und vor der Scheintaufe ihrer Eltern. Gerlin nickte verständnisvoll.
Abram war weniger diskret und grinste übers ganze Gesicht. »Es betrübt Euch aber sicher zutiefst, dass die beiden immer noch dem mosaischen Irrglauben anhängen, oder?«, bemerkte er.
Die Frau senkte den Blick, um ihr Lachen zu verbergen. »Ich zünde jede Woche in der Kirche eine Kerze für sie an«, behauptete sie.
Miriam erkundigte sich schließlich diskret nach der Mikwe und freute sich, dass es tatsächlich eine gab.
»Ein ... Badehaus für Frauen ...«, meinte die Wirtin vorsichtig. »Es ist den ganzen Tag für alle geöffnet. Wenn Ihr allerdings vor Morgengrauen erscheint ...«
Miriam nickte. Bevor sie reguläre Badegäste annahm, empfing die Wirtin wohl Frauen für die rituellen Waschungen. Sie musste dafür spezielle Becken zur Verfügung stellen - die Mikwe durfte nur von natürlich fließendem Wasser gespeist werden.
Das »ehemals jüdische« Badehaus befand sich allerdings in einer ganz anderen Ecke der Île de la Cité. Miriam würde nicht allein hingehen können, aber natürlich erbot sich Abram, sie gleich in der nächsten Nacht zu begleiten.
Vorerst genossen alle das Dampfbad und die Badezuber in der Herberge und danach ein gutes Essen - die Juden speisten zum ersten Mal seit Beginn der Reise koscher, und besonders Miriam freute sich wie ein Kind an den bekannten Speisen. Sie war glücklich, wieder unter den ihren zu sein und verabschiedete sich strahlend schon am späten Abend, um mit Abram zur Mikwe zu laufen.
»Viel zu früh, und dem Brauch entsprechend ist das auch nicht«, grummelte Salomon.
Jüdische Paare sahen sich oft bei der Hochzeit zum ersten Mal, und auch wenn sie einander schon vorher kannten, erlaubte man ihnen auf keinen Fall, vor der Eheschließung allein miteinander zu sein oder gar verliebt durch die Straßen einer Stadt zu schlendern.
Gerlin zuckte die Schultern. »In dieser Verbindung ist wohl vieles nicht dem Brauch entsprechend«, begütigte sie dann. »Ob sie noch ein paar Stunden mit Abram allein ist oder nicht - Miriam wird sowieso nicht mehr zur Jungfrau. Und eine Ehe mit ihr bedeutet nun mal, bei jeder Gelegenheit unter Sternen zu wandeln. Abram hofft wahrscheinlich schon, demnächst mit Staub von ihren neu entdeckten Himmelskörpern zu handeln. Die beiden sind einfach anders, Gott wird sich schon etwas dabei gedacht haben, sie zusammenzubringen.«
Salomon lächelte liebevoll und legte Holz im Kamin nach. Gerlin erwärmte Wasser, um Dietmar endlich mal wieder zu baden.
»So denkst du, Gott stiftet die Ehen?«, fragte der Medikus mit weicher Stimme und hielt das Kind fest, während sie das Wasser in einen improvisierten Zuber füllte. »Also bei uns Juden machen das gewöhnlich Heiratsvermittler ...«
Gerlin blinzelte ihm zu. »Ich weiß, ich erinnere mich noch gut daran, dass meinem Vater einer ins Haus gesandt wurde ...«, neckte sie ihn. »Aber doch ... ich denke, Gott weist uns die Wege ... manchmal auch Umwege.« Sie sah zu Salomon auf und schaute ihm in die Augen. »Ich bin dem Heiratsvermittler gern gefolgt.«
Der Medikus wich ihrem Blick aus und wandte sich Dietmar zu. Der Kleine plantschte inzwischen vergnügt in dem größten Kochtopf aus dem Planwagen, den Gerlin kurzerhand zum Badezuber umfunktioniert hatte.
»Du bereust deine Ehe also nicht?«, fragte er leise.
Gerlin schüttelte heftig den Kopf. »Wie könnte ich? Ich ... ich mochte Dietrich ... ich liebte ihn. Wenn auch nicht so wie ...«
»Wie Florís de Trillon?«
Der Schmerz in Salomons Stimme traf Gerlin bis ins Mark. Sie wollte etwas sagen, aber dann gab sie doch ihrem ersten Impuls nach, hob die
Weitere Kostenlose Bücher