Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
brannte, dessen Tod zu rächen.
Abram überlegte kurz, ob er seinem Onkel zu Hilfe kommen sollte, aber dann sah er Gerlin bedroht. Er stürmte auf den Stadtbüttel zu - und zur gleichen Zeit fiel Salomon. Gerlin konnte nicht sehen, wohin die Klinge ihn traf, aber er stürzte zu Boden, sich nur noch halbherzig wehrend.
»Weg hier, Gerlin!«
Gerlin schrie und wollte zu Salomon, aber Abram riss sie rüde mit sich fort. Er zerrte sie in eine Seitenstraße, schleppte sie mit sich über einen Markt - und hörte schon die Büttel hinter sich.
»Juden! Haltet sie auf!«
Gerlin konnte nicht mehr denken, sie spürte nur noch ihren rasenden Atem und das Blut, das ihr in den Kopf stieg, als sie rannte und rannte. Abram zog sie mitleidlos mit sich. Er warf einen Obstkarren um, stolperte über die Eisenwaren, die ein anderer Händler auf dem Boden ausgebreitet hatte. Auch der Obsthändler hastete jetzt hinter ihnen her. Abram zerrte Gerlin in eine weitere Straße, eine Gasse ... ob er ziellos lief, oder ob er wusste, wohin er floh? Gerlin wollte sich nur noch fallen lassen. Ihr Herz klopfte rasend, und sie bekam nun keine Luft mehr. Aber dann, als sie um die nächste Ecke bogen, war es plötzlich vorbei. Die beiden rannten direkt in zwei Ritter hinein, die gut gelaunt an einer am Straßenrand aufgebauten Garküche standen.
»Aufhalten! Ihr Herren, haltet diese Leute auf!«
Die Ritter wandten sich verwundert zu den Flüchtenden um, als sie die Schreie der Verfolger hörten, und versperrten ihnen den Weg. Abram wollte versuchen, sich zwischen ihnen durchzuwinden, aber Gerlin brach zusammen - und vernahm unvermittelt eine freundliche Stimme.
»Frau Lindis? Was macht Ihr denn hier? Sind diese Leute etwa hinter Euch her?«
Charles de Sainte-Menehould in Begleitung eines seiner Freunde!
Gerlin schöpfte wieder Hoffnung. »Ihr müsst mir helfen, Herr ... Ihr müsst ...«
»Haltet die beiden auf! Es sind Juden und Mörder!«
Der erste der Büttel hatte die Ritter und die Flüchtigen jetzt erreicht und ergriff Abram. Der junge Mann schrie auf, als er ihm brutal den Arm auf den Rücken drehte. Der inzwischen eingetroffene zweite Verfolger fasste nach Gerlin, aber da war bereits Charles de Sainte-Menehoulds Schwert zwischen ihm und der Frau.
»Rührt die Dame nicht an!«, befahl der Ritter. »Und den Jungen lasst Ihr auch los. Herr Konstantin! Ich bin doch sehr verwirrt, Euch in dieser Lage wiederzufinden! Da muss ein Missverständnis vorliegen. Was haben die beiden denn angeblich getan, Kerl?«
Der junge Adlige hatte nicht viel Respekt vor der Ordnungsmacht der Stadt. Büttel und Henkersknechte waren für ihn nicht viel mehr als Gesindel, und so behandelte er sie auch. Verblüffenderweise nahm der eben noch so selbstbewusst wirkende Stadtwächter unter seinem strafenden Blick Haltung an.
»Es sind Juden, Monseigneur«, setzte er zu einer Erklärung an, musste dann aber erst mal Luft holen.
»Unsinn, Bursche, es sind Pilger. Oder jedenfalls Angehörige einer Pilgergruppe, ich gehörte zu ihrer Eskorte nach Tours. Ihr Anführer wollte am Grab des heiligen Martin beten.«
Der andere Büttel, weniger respektvoll, lachte. »Na, der hier betet bestimmt nicht allzu oft am Grab eines christlichen Heiligen!«, bemerkte er, nahm sein Messer und schlitzte Abrams kurze Tunika, seine ledernen Beinlinge und seine Brouche mit einem kurzen Schnitt auf.
Abram krümmte sich zusammen und versuchte, die zerschnittenen Beinkleider zusammenzuhalten, um seine Blöße zu bedecken. Aber die Männer hatten das Zeichen seines Judentums bereits gesehen. Die Büttel johlten auf.
Charles de Sainte-Menehould runzelte jedoch nur die Stirn. »Könnt Ihr das alles erklären, Frau Lindis? Und wo ist Euer Gatte?«
Gerlin überlegte fieberhaft, aber ihr fiel keine Erklärung ein. Dafür sah sie den jungen Ritter beschwörend an. »Herr Charles ... ich ... ich kann nicht ... aber ich bin keine Jüdin ... ich bin ... Herr, diese Männer halfen mir ... und sie sind ... Um Jesu Christi willen glaubt mir ... und mein Kind ... Ihr müsst ... Ihr müsst das Kind ...«
Gerlin konnte nicht mehr. Sie war völlig erschöpft. Erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein, dass Salomon wahrscheinlich tot war. Und Dietmar war bei einer jüdischen Konvertitin, die ebenso aufgespürt werden konnte wie am Morgen die Meisterin der Mikwe.
»Das reicht jetzt!«, unterbrach sie der Anführer der Büttel. »Ihr habt gesehen, Monseigneur, es sind Juden. Offensichtlich gingen sie in einem
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