Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Karren passierte eben den Port en Grève, und sie meinte, den Brandgeruch der Scheiterhaufen wahrzunehmen. »Ihr hättet es nicht besser machen können. Und nun stehe ich bis ans Ende meines Daseins in Eurer Schuld. Zumal Ihr auch noch meinetwegen in den Louvre reitet, obwohl Ihr doch eigentlich ...«
Charles schüttelte den Kopf. »Herrin, bevor ich Euch verlasse und mich dem Heer des Königs Richard anschließe, will ich die ganze Geschichte kennen. Auch, um Euch eventuell helfen zu können. Also: Wer seid Ihr, und wer ist Euer Sohn?«
Gerlin sah hilfesuchend zu Abram hinüber, aber der war unfähig, irgendeine Geschichte auszuspinnen. Der Karren holperte über das alte Kopfsteinpflaster der Île de la Cité, und jeder Schlag bereitete ihm Schmerzen. Dazu hatte er nur Augen für Miriam, Gerlins hilflosen Blick bemerkte keiner von beiden.
»Nun, es ist so, dass ... Ich will Euch nicht mit Einzelheiten belasten, mein Ritter. Das könnte gefährlich werden, auch für Euch. Aber ... aber ich stand ... ich stehe ... ich stand ... der Familie der Plantagenets sehr nahe ...«
Gerlin druckste herum.
»Welchem Mitglied der Familie Plantagenet?«, fragte Charles gnadenlos weiter. »Der Königin Eleonore? Richard? Johann?«
»Johann?« Gerlin lächelte. Der jüngste Sohn der Herrin Aliénor hatte an ihrem Hof nie viel gegolten.
Dafür fand sich aber wieder ein Bild vor ihren Augen, das sie lange vergessen hatte. Prinz Richard, ein schöner Jüngling mit klugen blauen Augen, der sie einst auf dem Wehrgang vor den Kemenaten angesprochen hatte. Sie war noch ziemlich klein gewesen, aber sie hatte doch ein bisschen mit ihm geschäkert - und er hatte sie geneckt, höfische Worte mit ihr gewechselt ... Aber Ihr müsst mir Söhne schenken, erinnerte Gerlin sich lächelnd. Zahlreich wie die Sterne am Himmel!, war ihre unbedarfte Entgegnung gewesen.
Gerlin holte tief Luft. »König Richard«, sagte sie dann.
Kapitel 4
D er Weg zum Louvre führte über die Seine-Brücke und dann ein Stück durch Wald, aber an eine Flucht, über die Abram ursprünglich nachgedacht hatte, war nicht zu denken. Der Wagen mit den Gefangenen war gut bewacht, und von Charles de Sainte-Menehould war, was das betraf, keine Hilfe zu erwarten. Der Ritter war noch zu sehr damit beschäftigt, Gerlins Andeutungen zu verdauen und sich seinen Reim darauf zu machen. Er hatte nach der Nennung von Richards Namen nicht weitergefragt, die Etikette des Minnehofes verbot Indiskretionen solcher Art. Aber er betrachtete den kleinen Dietmar mit ganz neuer Ehrfurcht, und er schien auch über weitere Pläne nachzudenken. Jedenfalls plauderte er nicht mehr mit Gerlin, sondern ritt schweigend neben oder hinter dem Schinderkarren her.
Es regnete mal wieder, und die Gefangenen waren durchnässt und durchfroren, als sie den Louvre schließlich erreichten. Der von einer wehrhaften Mauer umgebene Gebäudekomplex würde sicher einmal trutzig und beeindruckend wirken, zeigte sich bislang aber eher als eine Mischung aus Heersammelplatz und Großbaustelle. Der Louvre war Burganlage, Verwaltungssitz, Gefängnis und Schatzkammer. Auch das Kronarchiv wurde dort gelagert, wenn der König in Paris war. Weilte er anderswo, oder befand er sich auf einem Heerzug wie jetzt, führte er die Unterlagen mit sich.
Jetzt jedenfalls residierte im Louvre nur sein Statthalter, der mit dem Heer und der Verwaltung alle Hände voll zu tun hatte. So rief er Gerlin und ihren Anhang auch nicht gleich zum Verhör, sondern ließ sie erst einmal einkerkern - in einem tatsächlich zwar bescheidenen, aber doch halbwegs bequemen Quartier. Die Räumlichkeiten enthielten sogar eine Schlafstatt, aber darauf verzichtete Gerlin zugunsten Abrams, der sich nach der holperigen Fahrt auf dem Karren kaum rühren konnte. Miriam kümmerte sich um ihn, während Gerlin ein Feuer im Kamin entzündete. Immerhin waren die Bauten modern, und der Rauchabzug befriedigend. In der Herberge am Tag zuvor war es nicht so komfortabel gewesen, aber Gerlin hätte doch alles dafür getan, den Tag einfach ungeschehen zu machen und dafür noch einmal eine so wundervolle Nacht mit Salomon zu erleben. Sie weinte still um den Geliebten, während sie Dietmar in den Schlaf wiegte.
Salomons letzte Stunden mochte sie sich gar nicht vorstellen, Gerlin konnte nur hoffen, dass er schnell an den im Kampf erlittenen Wunden gestorben war. Ein Tod in den Flammen war so grauenhaft, dass Gerlin allein bei dem Gedanken daran schon vor dem harmlosen
Weitere Kostenlose Bücher