Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
den Ritter gekonnt nieder, der Charles eben zum Kampf gefordert hatte.
»Kommt, Monseigneur, Ihr seid doch nicht lebensmüde!« Die Stimme kam von einem der älteren Ritter in Charles' Begleitung.
»Es tut mir so leid, Frau Lindis ...«
Gerlin fasste es nicht. Dieser junge Wilde besann sich selbst jetzt noch auf die höfische Rede! »Verschwindet, Herr Charles!«, schrie sie. Nicht auszudenken, dass auch noch das Blut dieses Träumers an ihren Händen kleben sollte!
Für Augenblicke, die sich zu Stunden dehnten, hörte Gerlin Schwerterklirren, Schreie und Schilde, die aufeinanderprallten. Dann flohen die Angreifer aber tatsächlich, und zu Gerlins Erleichterung blieb kein Toter auf dem Schlachtfeld zurück. Nur zwei der Ritter aus ihrer überrumpelten Eskorte waren vom Pferd getjostet worden und rieben sich nun schmerzende Schultern und Hüften, sonst war nichts geschehen. Der Befehlshaber der Panzerreiter war ebenso verblüfft wie seine Männer.
»Was war das denn?«, rief er verwundert. »Doch nicht etwa ein Versuch, die Gefangenen zu befreien?«
Er blickte streng zu Gerlin hinüber, aber die wirkte eher überrascht und aufgewühlt als schuldbewusst, und man hatte auch deutlich sehen können, dass sie sich gegen die Entführung wehrte. Ihre Zofe auf dem Planwagen reagierte überdies völlig hysterisch. Die schreiende, zitternde junge Frau hatte gewiss nicht auf eine Entführung gehofft.
»Eher Wegelagerer, die auf unseren Tross aus waren«, vermutete einer der Ritter. »Sie gingen ja ganz klar auf die Planwagen los. Verrückte! Als ob sie hier auch nur einen Hauch der Chance auf Beute gehabt hätten.«
»Die Menschen sind eben hungrig«, mischte Gerlin sich begütigend ein und berichtete von dem Angriff der Bauerngruppe auf ihre Reisegesellschaft ein paar Wochen zuvor. »Und dabei ging es außerdem um Frauenraub, meine Zofe wäre den Gaunern beinahe zum Opfer gefallen. Ich danke Euch herzlich für meine Rettung, meine Herren. Sicher wird der König Euren Einsatz zu schätzen wissen!«
Gerlin atmete auf, als die Ritter die Sache damit auf sich beruhen ließen - und betete, dass Charles nicht auf die Idee kam, es noch einmal zu versuchen. Aber davon würden seine Männer ihn sicher abhalten. Im Stillen dankte sie Charles' Vater für seine Umsicht. Er hatte nichts Besseres tun können, als seinem draufgängerischen Sohn ältere Berater mitzugeben.
Die Ritter rechneten mit einer Reisezeit von drei Tagen nach Vendôme, aber tatsächlich brauchten sie vier, bis sie im Heerlager vor der trutzigen Feste eintrafen. Das Wetter blieb anhaltend schlecht, und Gerlin dankte dem Himmel, als man sie und ihren Tross in der Abtei La Trinité unterbrachte. König Philipp hielt das Kloster besetzt, aber die Mönche und Hüter der Wallfahrtskirche Sancta Lacrima waren auf Seiten der Plantagenets. Gerlin und die ihren empfingen sie wie den Hof einer Prinzessin, ihr wurde langsam unheimlich. Sie hatte eigentlich gehofft, die Franzosen würden die Geschichte von Dietmars angeblicher Herkunft geheim halten, aber tatsächlich verbreitete sie sich in wahrhaft atemberaubender Geschwindigkeit. Und auch Charles' Entführungsversuch trug zur Legendenbildung bei. Obwohl der Anführer der Truppe ihn als Wegelagerei abtat, fanden sich doch ein paar Troubadoure im Heer, die ein Lied daraus machten. Die schöne Geisel und das mögliche Königskind beflügelten ihre Fantasie.
Am Tag nach ihrer Ankunft in Vendôme erschrak Gerlin zu Tode. Man ließ ihren Sohn im Kloster abholen und zum König bringen. Sie verbrachte ein paar angsterfüllte Stunden in ihren Gemächern, aber dann erschien der Monarch selbst mit den Rittern, die das Kind zurückbrachten. Wie der Abt Gerlin aufgeregt meldete, plante König Philipp, nun auch noch einen Blick auf die Mutter zu werfen.
»Einen erlesenen Geschmack hat er ja, der gute Richard«, bemerkte der König, als Gerlin tief vor ihm knickste. Philipp II. war ein gut aussehender Mann mit hellbraunem, langem Haar, aber stechend blauen Augen. »Und Geschick darin, sich die schönsten Mädchen zu sichern. Wo hat er Euch aufgetan, Madame? In Trifels? Oder gleich in Dürnstein?«
Auf diesen Burgen war Richard inhaftiert gewesen.
Gerlin errötete. »Ich kann dazu nichts sagen«, flüsterte sie dann.
Der König lachte. »Ein bisschen schüchtern, ja? Aber Euer Kleiner kann sein Erbe nicht verleugnen - eindeutig ein Plantagenet. Ich denke, ich werde dem König bald mal einen Brief schreiben. Sicher wird er sich
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