Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
Ritter es nur sein konnte. Hoch aufgeschossen und blass, aber wie von innen leuchtend stand er der Gruppe der Knappen vor. Die Schwertleite war für die meisten von ihnen etwas Heiliges; besonders für die Jungen aus französischen und normannischen Landen war der Ritterstand fest mit dem Gottesdienst verknüpft. Aus ihren Kreisen rekrutierten sich auch die meisten Mönchsorden wie Johanniter und Templer.
Für die Knappen aus deutschem Geblüt spielte die Weihe des Schwertes keine so große Rolle, aber auch sie empfanden die Ernsthaftigkeit und Festlichkeit der Stunde. Allerdings wandte sich so mancher von ihnen rasch noch zu seinen Verwandten und Freunden um, bevor diese die Kirche verließen, während Dietrich und andere, sehr ernsthafte junge Ritter bereits im Gebet versunken schienen. Trotz seiner weltoffenen Erziehung und seiner Freundschaft zu dem Juden Salomon war Gerlins versprochener Gatte tiefgläubig. Er würde zweifellos inbrünstig beten, sein Gewissen noch einmal erforschen und den Segen des Herrn für sein Schwert und seine ritterliche Laufbahn erflehen. Gerlin hoffte, dass Dietrich trotzdem noch etwas Schlaf vor dem morgendlichen Kampf finden würde. Die meisten Knappen wurden irgendwann in der Nacht von ihrer Müdigkeit übermannt.
Sie selbst fand vorerst keine Ruhe. Während Frau Luitgart und Herr Roland dem Bankett vorstanden, zu dem bereits viele der geladenen Gäste und Teilnehmer des in den folgenden Tagen angesetzten Turniers angereist waren, strich sie unruhig durch die Gänge der Burg und fand sich schließlich auf dem jetzt verwaisten Söller wieder. Zu ihrer Überraschung stieß sie dort auf Florís de Trillon. Der junger Ritter lehnte an der Brüstung und blickte auf die mit bunten Wimpeln geschmückte Kampfbahn, die Ehrentribüne unter dem seidenen Pavillon und all die kleinen und großen Zelte der Fahrenden Ritter hinab, die auf dem Gelände vor der Burg aufgebaut waren.
Im letzten Tageslicht wirkte alles sehr fröhlich und friedlich, fast als habe ein Kind die Zeltstadt aufgestellt, um am kommenden Tag mit Rittern und Knappen aus Holz zu spielen. Jetzt loderten Feuer auf - schließlich feierten auch da unten Knappen und Knechte -, und selbst im Dorf wurden Ochsen am Spieß gebraten. Die Burgherren würden ihre Leute noch tagelang zur Feier der Schwertleite beköstigen ... es sei denn, man müsste das Fest abbrechen, weil es von einem bedauerlichen Unfall überschattet wurde.
Gerlin las Florís' Gedanken. Vorsichtig, fast tastend, legte sie ihm die Hand auf den Arm.
»Vielleicht passiert ja gar nichts«, sagte sie leise.
Er stieß spöttisch die Luft durch die Nase aus. »Vielleicht wird es niemals Morgen«, bemerkte er.
Gerlin versuchte zu lächeln. »Im Ernst, Florís, es ist doch gut möglich, dass wir uns ganz grundlos sorgen. Natürlich könnte Herr Roland versuchen, durch Mord und Totschlag an ein Lehen zu kommen. Aber auch er ist ein Ritter ... und Dietrich ist sein Fleisch und Blut.«
Florís rieb sich die Stirn. »Ich bitte Euch, Gerlin, der Junge ist über sieben Ecken mit ihm verwandt! Wahrscheinlich kann kein Mensch mehr genau nachhalten, über welche Linie. Ornemünder gibt es wie Sand am Meer. Und was die ritterlichen Tugenden angeht ...« Er seufzte. Aber dann sah er Gerlin ins Gesicht, und seine sorgenvolle Miene wich einem bewundernden, zärtlichen Blick. Auch Gerlin hatte sich an diesem Abend hell gewandet. Sie trug ein langärmeliges Kleid aus leichter, ungefärbter Wolle, dazu einen seidenen, juwelenbesetzten Gürtel aus Salomon von Kronachs Truhe und darüber einen Mantel in lichtem Blau. Ihr Haar hielt sie mit einem breiten hellblauen Schapel zurück. Es fiel lang und üppig über ihren Rücken. Über ihr Gesicht zog leichte Röte, als sie in die Augen des Ritters blickte. »Aber Ihr sorgt Euch doch auch wirklich, Fräulein Gerlin, nicht wahr?«, sagte Florís leise, fast tonlos. »Euch liegt etwas an Dietrich.«
Gerlin nickte. »Ebenso wie Euch. Natürlich kenne ich ihn noch nicht so lange. Aber er ... er ist ein guter Junge.«
»Er soll Euer Eheherr werden«, flüsterte Florís, »vielleicht schon morgen. Denkt Ihr ... manchmal daran?«
Gerlin versuchte zu lachen und seine seltsame Frage spöttisch abzutun, aber nicht einmal ein Lächeln gelang ihr. Verstand sie doch zu gut, wie die wirkliche Frage lautete.
»Ich denke vieles, Herr Ritter.« Sie wollte ihre Stimme fest klingen lassen, aber die Worte kamen heiser heraus. »An das, was sein wird, sein
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