Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
ich Kinderärztin bin und in nichts hineingezogen zu werden wünsche. Ist das klar?«, fuhr sie ihn an.
Doch er reagierte darauf nur mit einem müden Lächeln. Die scheinbar durch nichts zu erschütternde Selbstsicherheit dieses Mannes machte sie wütend. Am schlimmsten aber war, dass im Verhalten des Fremden nicht die Arroganz ihres Kollegen Karl oder ihres ge schiedenen Mannes zu finden war. Er strahlte keinerlei Überheblichkeit aus. Nicht seine Person, sondern die Sache, die er zu vertreten schien, verlieh ihm die Höhe, von der er aus agierte.
»Einerlei! Ob ich rede oder nicht, Sie stecken bereits mittendrin. Glauben Sie mir bitte, tiefer geht es nicht!«
»Wo drin?« Sie haderte mit sich, gefragt zu haben, denn dadurch ging sie auf sein Spiel ein. Er nahm aller dings seinen Triumph nicht zur Kenntnis, zumindest nicht äußerlich.
»Ihr Großvater Daniel Valentin Luther war der letzte Großmeister der Rosenkreuzer. Und Sie sind seine Erbin.«
»Erbin des Hauses!«
»Das auch. Nein, der Geheimnisse.«
»Aha«, stellte sie trocken fest und wusste nicht, ob sie laut auflachen oder sich fürchten sollte. Er wirkte nicht wie ein Verrückter, was er sagte, klang allerdings auch nicht normal. Andererseits stand keinem Paranoiker auf die Stirn geschrieben, dass er an dieser Krankheit litt. Sie versuchte sich zu erinnern, was sie im Studium über Paranoia gehört hatte. Für die Krankheiten des Kopfes hatte sie allerdings nie großes Interesse aufgebracht. Das bereute sie jetzt.
»Ich weiß, wie unwahrscheinlich das alles klingt, aber …«, lenkte er ein.
Sie fühlte nur noch das große Verlangen, diesen Spinner endlich loszuwerden. »Ach, wissen Sie das wirklich? Ich denke, dem ist nicht so. Ich denke sogar, dass ich mir Ihren Unfug jetzt schon lange genug angehört habe. Wer immer Sie sind und was immer Sie wollen, bitte, lassen Sie mich in Frieden. Ich will nichts weiter von Ihnen hören!« Sie erhob sich.
Er seufzte leise, dann stieß er sich sanft mit den Handflächen von den Knien ab, stand auf und sah ihr traurig in die Augen. »Sie werden noch mit mir reden. Ich hoffe, dass es dann nicht schon zu spät ist.«
»War das etwa eine Drohung?«, fuhr sie ihn scharf an. Dieses unfassbare, spinnerte Gespräch widerte sie langsam an.
»Ich bin Ihr Freund, Marta, nicht Ihr Feind, ich stehe auf Ihrer Seite.«
»Sie gehören also zu den Guten in diesem Spiel?«, blitzte unverhohlen Sarkasmus in ihrer Stimme auf.
»Es ist leider kein Spiel. Es ist tödlicher Ernst!«
»Gehen Sie!« Marta ertrug seine unterschwelligen Drohungen nicht länger.
»Entschuldigen Sie, es ist meine Schuld, ich habe Sie zu früh angesprochen. Sie sind noch nicht so weit.«
Mit diesen Worten ging Villanova. Und ließ eine ratlose Marta zurück.
Sie ging zu ihrem Schreibtisch und wollte ihren Com puter herunterfahren, wie sie es immer als Letztes tat, bevor sie die Praxis schloss. Doch dann hielt sie inne. Neugierig geworden, gab sie bei Google das Wort »Ro senkreuzer« ein und wurde zu Wikipedia verwiesen. Kopfschüttelnd nahm sie zur Kenntnis, dass es sich bei den Rosenkreuzern um einen mystischen Geheimbund handelte, dessen Ursprünge im 17. Jahrhundert lagen. Zumindest waren zwischen 1614 und 1617 die Rosen kreu zermanifeste erschienen, in denen es auch um den geheimnisvollen Gründer des verborgenen Ordens ging, einen gewissen Christian Rosenkreuz, der wiederum im 14. Jahrhundert gelebt haben sollte. Das wunderte sie. Diesen Namen kannte sie aus den seltsamen Träumen, die sie seit einiger Zeit plagten. Deshalb las sie in einer Mischung aus Neugier und innerer Abwehr weiter, zumindest bis zu jener Passage, die sie darüber informierte, dass die Rosenkreuzer sich neben vielen Dingen wie Her metik, von denen sie zum ersten Mal etwas las, auch mit Astrologie und vor allem mit Alchemie befassten.
»Quatsch«, sagte sie laut zu sich selbst und fuhr den Rechner nun wirklich herunter.
Beim Abendbrotmachen fiel es ihr plötzlich ein, woher sie den Mann kannte, und wollte es doch nicht glauben. Ihr unheimlicher Besucher war jener junge Mann, der vor siebenundzwanzig Jahren mit der älteren Frau an der Beerdigung ihres Großvaters teilgenommen hatte und den sie in ihrer Fantasie den schrecklichen Alfons genannte hatte. Dem Ereignis nahe genug, um irgendwie dazuzugehören, und doch weit genug davon entfernt, um keine Fragen beantworten zu müssen, in welcher Beziehung sie zu Daniel Valentin Luther gestanden hatten. Das zu wissen,
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