Das Geheimnis des Falken
hoffte, unbemerkt durchzukommen, und hatte bereits die Domtreppe erreicht, als ein vierschrötiger Kerl zufällig in meine Richtung sah und auf mich zustürzte.
»Halt, du kleine Krabbe!« schrie er und bog mir den Arm nach hinten. »Wo willst du dich denn hinschleichen?«
»Ich will zur Via San Michele«, sagte ich. »Ich wohne da.«
»Aha, du wohnst da! Und wo arbeitest du?«
»Ich bin in der Bibliothek angestellt.«
»In der Bibliothek angestellt«, äffte er mich nach. »Na, das ist ja ein ganz schön dreckiger Job, was? Den ganzen Tag Staub an den Händen und auf dem Gesicht.« Dann rief er zu den anderen hinüber, die weiter unten auf der Treppe standen: »Hier ist einer von den kleinen Philologen, der mal 'ne große Wäsche braucht. Wollen wir ihm die Wasserkur verordnen? Wie wär's, wenn wir ihn im Brunnen ein wenig abspülten?«
Brüllendes Gelächter quittierte seine Bemerkung. »Bring ihn her! Der wird mal ordentlich gereinigt!« grölten sie.
Der Brunnen in der Mitte der Piazza war im Nu umzingelt. Einige der Studenten waren bereits hinaufgeklettert und balancierten lachend und singend auf dem Rand. Es waren vielleicht fünfzig, vielleicht hundert. Ich fühlte mich sehr klein und schrecklich verlassen.
Plötzlich tauchte ein Wagen auf, der laut und lange hupend aus der Richtung der Universität kam. Die Studenten flüchteten sich auf beide Seiten der Piazza, um ihn passieren zu lassen, wobei einer der Burschen das Gleichgewicht verlor und ins Brunnenbecken fiel. Aus der Menge stieg kreischendes Gelächter auf, in das mein ›Häscher‹ einstimmte. Dabei lockerte sich der Griff, mit dem er mich festhielt. Ich duckte mich und entschlüpfte ihm. Der Wagen fuhr langsam weiter. Es war der Ferrari. Neben Aldo, den Studenten zulächelnd und zuwinkend, die bei seinem Anblick schrien und jubelten, saß der Direktor der Wirtschaftswissenschaften. Professor Elia.
Ich kämpfte mich durch die Studentenmenge hindurch zu der Passage, die von der Via Vittorio Emanuele zur Via del Sogni führt. Hier war alles still. Man hätte sich in eine andere; Welt versetzt glauben können. Nur eine einsame Katze streifte herum und sprang auf die Gartenmauer, als sie mich entdeckte. Ich öffnete die Pforte und ging den Gartenpfad zum Haus hinauf. Ich klingelte, und nach einer Weile machte mir jenes Mädchen auf, das am letzten Abend das Essen serviert hatte.
»Signora Butali?« sagte ich fragend.
»Tut mir leid, Signore«, antwortete das Mädchen. »Die Signora ist nicht zu Hause. Sie ist schon heute morgen nach Rom gefahren.«
Ich sah sie entgeistert an: »Nach Rom? Ich dachte, sie; wollte erst gegen Ende der Woche fahren?«
»Das dachte ich auch. Aber als ich heute morgen kam, war sie fort. Sie hat mir einen Zettel hinterlassen; darauf stand, daß sie sich ganz plötzlich zu der Reise entschlossen habe. Sie muß um sieben schon weggewesen sein.«
»Geht es dem Präsidenten denn schlechter?«
»Ich weiß nicht, Signore. Sie hat nichts davon gesagt.«
Ich schaute an ihr vorbei in das leere Haus hinein. Es wirkte weniger behaglich und einladend als sonst.
»Danke«, sagte ich. »Sie brauchen nichts auszurichten. Es hat sich schon von selbst erledigt.«
Ich ging zur Via San Michele hinunter, wobei ich die Piazza Matrice mied. Hier waren die Straßen nicht von Studenten bevölkert. Die Leute, denen ich begegnete, waren normale Bürger, die nach Hause strebten.
Der Eingang des Hauses Nummer 24 wurden von Gino. Mario und ein paar anderen belagert, unter ihnen Paolo Pasquale und seine Schwester. Als Caterina mich sah, lief sie mir entgegen und nahm mich bei der Hand.
»Wissen Sie schon die große Neuigkeit?« fragte sie.
Ich seufzte. Da hatte ich's wieder. Es gab kein Entrinnen. »Mir ist den ganzen Tag lang nur das eine zu Ohr gekommen«, sagte ich. »Sogar die Bücher in den Regalen der Bibliothek waren randvoll davon. Im Mädchenpensionat ist eingebrochen worden. Die Mädchen sind alle schwanger.«
»Ach das!« sagte sie wegwerfend. »Wen interessiert das schon? Ich hoffe nur, daß Signorina Rizzio Zwillinge bekommt … Nein, der Direktor des Kunstrats hat alle WW-Studenten, die Lust dazu haben, eingeladen, beim Festival mitzumachen. Damit will er uns einen Vertrauensbeweis geben und sagen, daß er nicht glaubt, daß wir die Sache von gestern nacht gedreht haben. Professor Elia hat in unserem Namen zugesagt, und heute abend ist eine Versammlung. Sie findet im alten Theater auf der Piazza del Mercato statt, und wir
Weitere Kostenlose Bücher