Das Geschenk: Roman
Geburt des Christentums, dem so viele Menschen auf der Welt angehörten, ließ sich mit einem Auto binnen weniger Stunden von einem Ende zum anderen durchfahren. Die von Mauern umgebene Stadt Jerusalem kam Tom wie eine schöne Miniatur vor, als er sie das erste Mal sah. Dennoch wurden die dortige Stimmung und die Menschen, die Jerusalem als ihr Zuhause betrachteten, dem Ruf dieser Stadt als einer der aufregendsten Orte der Welt durchaus gerecht.
Eleanor und Tom waren auf der Suche nach Storys und Geschichten durchs Land gefahren, obgleich Ellie auch eher persönliche Erfahrungen gesucht hatte; sie war sogar im Jordan getauft worden. Auch Mark Twain war nach einem langen, staubigen Ritt von Damaskus in den Jordan gesprungen und hatte darin geschwommen, allerdings eher aus hygienischen als aus spirituellen Gründen. Tom und Eleanor hatten Wasser aus dem Jordan in Glasflaschen gekauft, die wie ein bärtiger Mann in schlichtem Umhang geformt waren und Jesus darstellen sollten, und sie nach Hause geschickt, zusammen mit heiliger Luft in einer Blechdose, die in alten Kirchen Israels abgefüllt worden war. Tom hatte immer schon gewusst, dass diese beiden Souvenirs besonders bei amerikanischen Touristen sehr beliebt waren, die dann mit Wasser und Luft aus dem Heiligen Land nach Hause zurückkehrten und damit ihre eigenen Andachtsstätten schmückten. Vermutlich in der Absicht, so vor Gott ein wenig höher zu steigen – sozusagen, um ihre Chancen zu verbessern.
In den Jahren, die sie in Israel gelebt hatten, waren Tom und Ellie einmal zu Weihnachten mit einer Touristengruppe nach Bethlehem gefahren, weil Eleanor den Ort hatte sehen wollen, an dem Jesus geboren und auf diese sündige Welt gekommen war. Obgleich er nicht gerade ein religiöser Mensch war, war es für Tom ein beeindruckendes Erlebnis, sich in der Nähe jenes Ortes aufzuhalten, an dem angeblich ein so bedeutsames, weltgeschichtliches Ereignis stattgefunden hatte.
Mark Twain hatte von seiner Fahrt nach Bethlehem berichtet, dass sämtliche christlichen Glaubensgemeinschaften – außer den Protestanten – Kapellen unter dem Dach des Heiligen Grabes unterhielten. Doch er beobachtete außerdem, dass keine dieser Gemeinschaften es wagte, das Territorium einer anderen zu betreten. Was ohne jeden Zweifel bewies, schrieb er, dass sogar das Grab des Erlösers keinen Frieden unter den Vertretern unterschiedlicher Glaubensrichtungen bewirken konnte. Einige Dinge hatten sich kein bisschen verändert, seit Mark Twain als Pilger das Heilige Land bereiste.
Eleanor und Tom waren zwei der wenigen amerikanischen Journalisten in Israel gewesen, die den heiligsten der Weihnachtstage gefeiert hatten: Sie hatten in ihrer kleinen Wohnung einen Christbaum aufgestellt, ein Weihnachtsessen zubereitet und einander Geschenke gemacht. Dann hatten sie auf das dunkle Mittelmeer hinausgeblickt, hatten das Panorama und die Gerüche des Wüstenklimas in sich aufgenommen – an einem Fest, das die meisten Amerikaner mit Schnee, einem fröhlichen dicken Mann und prasselndem Kaminfeuer in Verbindung brachten. Schließlich waren sie Arm in Arm eingeschlafen. Dieses Weihnachtsfest in Tel Aviv gehörte zu den schönsten in Toms Leben. Dann aber kam das letzte Weihnachten, das sie in dieser Stadt verbrachten.
Eleanor hatte damals die Wohnung verlassen, um rasch noch ein paar Lebensmittel einzukaufen. Ungefähr vierzig Minuten später kam sie wieder und erklärte, sie wolle nach Hause zurück; sie wäre es leid, ständig mit den Gefahren dieser fremden Welt zu leben. Es wäre endlich an der Zeit, die Heimreise anzutreten. Zuerst hatte Tom geglaubt, sie mache einen Scherz. Doch rasch wurde deutlich, dass dem nicht so war, denn Eleanor begann ihre Sachen zu packen. Dann rief sie bei der El Al an, um einen Flug zu buchen. Sie versuchte, auch für Tom einen Platz zu reservieren, doch er lehnte ab und erklärte, er käme nicht mit. Nur eine Stunde vorher war alles noch harmonisch und wundervoll gewesen. Nun stand er in ihrem winzigen Apartment, und sein ganzes Leben war in sich zusammengestürzt.
Tom wollte von Ellie wissen, was in der vergangenen Dreiviertelstunde passiert sei, dass sie eine solche Entscheidung getroffen habe, die für sie beide das ganze Leben veränderte, noch dazu so unvermittelt und ohne sich die Mühe zu machen, vorher mit ihm darüber zu sprechen. Eleanors einzige Antwort lautete, dass es an der Zeit sei, nach Hause zurückzugehen. Sie unterhielten sich, doch aus dem Gespräch
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