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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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welche Zeit, wer sich im Haus befand und so weiter.«
    »Habe ich mir Notizen gemacht?«
    »Ja. Sie meinten, es wäre entweder Mord oder ein Unfall gewesen, was sie jedoch bezweifeln würden. Sie wollten der Sache nachgehen.«
    »Wissen Sie zufällig, wie das aussah?«
    »Ich fragte Imogen danach, aber sie hat keine Ahnung. Sie weiß nur, daß Sie keinerlei Beweise fanden, die gegen das Offensichtliche sprachen: daß er sich nämlich in einem Anfall tiefster Verzweiflung das Leben genommen hatte. Sie wollten die Ermittlungen jedoch fortsetzen und versprachen ihr, sich zu melden, falls sich etwas Neues ergeben sollte. Sie haben es nicht getan, jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als wir Sie über zwei Monate später in der Kirche trafen.«
    Monk war enttäuscht und spürte gleichzeitig, wie sich Angst in ihm breitmachte. Er hatte keine direkte Verbindung zwischen sich und Joscelin Grey entdeckt, geschweige denn einen Grund, den Mann zu hassen. Er wagte einen letzten Versuch.
    »Sie weiß nicht das geringste über diese Ermittlungen? Ich habe ihr nichts erzählt?«
    »Nein.« Hester schüttelte den Kopf. »Aber angesichts der Fragen, die Sie über Papa und das Unternehmensprojekt gestellt haben, würde ich annehmen, Sie haben in dieser Richtung nachgeforscht.«
    »Habe ich mit Joscelin Grey darüber gesprochen?«
    »Nein, mit einem Mr. Marner; er war einer der Auftraggeber. Sie erwähnten ihn Imogen gegenüber, aber Joscelin haben Sie ihres Wissens nie kennengelernt. Sie haben es bei der letzten Begegnung sogar ausdrücklich bestätigt. Er war demselben Mißgeschick zum Opfer gefallen, und Sie schienen Mr. Marner für den Verantwortlichen zu halten, ob er es nun absichtlich getan hatte oder nicht.«
    Das war immerhin etwas, egal wie dürftig. Ein Punkt, an dem er ansetzen konnte.
    »Haben Sie eine Ahnung, wo ich diesen Mann finden kann?«
    »Nein, tut mir leid. Imogen weiß nichts weiter über ihn.«
    »Habe ich ihr seinen Vornamen genannt?«
    Hester schüttelte wieder den Kopf. »Leider auch nicht. Sie haben nur ganz kurz von ihm gesprochen. Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr helfen.«
    »Sie haben mir sehr viel geholfen. Wenigstens weiß ich jetzt, was ich vor dem Unfall getan habe, und das bringt mich ein gutes Stück weiter.« Das war eine glatte Lüge, aber mit der Wahrheit war erst recht nichts zu erreichen.
    »Glauben Sie, Joscelin Grey wurde wegen dieses mysteriösen Projekts umgebracht? Könnte er etwas über Mr. Marner in der Hand gehabt haben?« Obwohl ihr die Erinnerung an das Familiendrama sichtlich zusetzte, versuchte sie nicht, den Gedanken zu verdrängen. »Womöglich hatte er herausgefunden, daß das Ganze ein Schwindel war?«
    Er konnte wieder nur lügen.
    »Ich weiß es nicht. Ich werde nochmals ganz von vorn anfangen. Haben Sie eine Vorstellung, um welche Art Geschäft es sich drehte, oder können Sie mir die Namen der Freunde Ihres Vaters nennen, die daran beteiligt waren? Sie wären wahrscheinlich in der Lage, mir Näheres zu sagen.«
    Sie nannte ihm einige Namen, die er samt den dazugehörigen Adressen notierte. Anschließend bedankte er sich mit dem dummen Gefühl, schrecklich plump zu sein. Er hätte ihr gern ohne Worte zu verstehen gegeben – um ihnen beiden eine peinliche Situation zu ersparen –, wie dankbar er ihr war: für ihre Offenheit und ihr Mitgefühl, das keine Spur von Mitleid enthielt, für eine erholsame Atempause ohne Streit und gesellschaftliche Spielereien.
    Er schwieg hilflos und suchte nach Worten. Hester legte eine federleichte Hand auf seinen Ärmel und sah ihm sekundenlang direkt in die Augen. Einen Moment lang gab er sich der wilden Hoffnung auf eine tiefe Freundschaft hin, auf grenzenlose Nähe, die besser, reiner und ehrlicher war als jede Form von Romanze – dann war der Bann gebrochen. Zwischen ihm und jedem anderen stand der zerschmetterte Körper von Joscelin Grey.
    »Nochmals danke«, sagte er ruhig. »Sie waren mir eine große Hilfe. Es war sehr nett, daß Sie mir soviel Zeit und Mühe geopfert haben.« Er schaute sie ein letztes Mal an und lächelte leicht. »Guten Abend, Miss Latterly.«

12
    Der Name Marner sagte Monk nichts. Auch nachdem er am nächsten Tag bei drei der Adressen gewesen war, die Hester ihm genannt hatte, war er nicht viel schlauer. Er hatte lediglich erfahren, daß es sich bei dem Projekt um ein Importgeschäft handelte. Offenbar hatte niemand den ominösen Mr. Marner kennengelernt. Sämtliche Informationen der Teilhaber stammten von

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