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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Latterly, der sie wiederum von Joscelin Grey bezogen hatte. Es ging um Tabakimport aus den Vereinigten Staaten von Amerika, der in Zusammenarbeit mit einer türkischen Firma betrieben werden sollte und im Einzelhandel beträchtliche Gewinne abzuwerfen versprach. Mehr wußte keiner – abgesehen von einer hohen Summe, die als Grundkapital investiert werden mußte, um das Unternehmen und die daraus resultierende Vermögenssteigerung der Beteiligten in Gang zu bringen.
    Als Monk sich bei der letzten Adresse verabschiedete, war es bereits später Nachmittag, aber eine Pause konnte er sich nicht leisten. Er schlang in aller Eile ein köstlichfrisches Sandwich hinunter, das er bei einem Straßenverkäufer erstand, und machte sich auf den Weg zum Revier. Dort wollte er einen Kollegen zu Rate ziehen, der Fälle von Unternehmensbetrug untersuchte. Vielleicht kannte der Mann die Namen einiger Tabakhändler und konnte ihn so auf die Spur der türkischen Tabakfirma bringen.
    »Marner?« wiederholte der Kollege, während er sich mit den Fingern durch das schüttere Haar fuhr. »Glaub nicht, daß ich schon mal von ihm gehört hab. Den Vornamen wissen Sie nicht, sagen Sie?«
    »Nein, aber er soll eine Handelsgesellschaft gegründet haben, die Tabak aus Amerika importiert, ihn mit türkischem verschneidet und dann mit Gewinn weiterverkauft.«
    Monks Gegenüber schnitt eine Grimasse.
    »Klingt ja scheußlich. Ich kann türkischen Tabak nicht ausstehen – na ja, ist egal, ich mag lieber Schnupftabak. Marner?« Er schüttelte den Kopf. »Ich kenn bloß den guten, alten Zebedee Marner, aber den werden Sie kaum meinen. Wenn Sie’s bei dem nicht schon versucht hätten, wären Sie vermutlich nicht hier. Ist ein schlauer, alter Fuchs, aber daß er mit Tabak zu tun hat, ist mir neu.«
    »Was tut er dann?«
    Der Mann hob verblüfft die Brauen.
    »Wo haben Sie denn Ihren Grips gelassen, Monk? Stimmt was nicht mit Ihnen?« Er warf Monk einen schiefen Blick zu.
    »Sie müssen Zebedee Marner kennen! Es ist mir bis jetzt nie gelungen, ihm was anzuhängen, weil er sich immer wieder aus der Affäre ziehen kann, aber wir wissen genau, daß er hinter der Hälfte aller Pfandleihen, Ausbeutungsbetriebe und Bordelle von Limehouse bis zur Isle of Dogs steckt. Ich persönlich glaub ja, daß er außerdem einen fetten Gewinnanteil an der Kinderprostitution und am Opiumgeschäft einstreicht. Leider ist er viel zu gerissen, um sich irgendwo blicken zu lassen.«
    Monk wagte kaum zu hoffen. Falls es sich um ein und denselben Marner handelte, hätte er zumindest einen Ansatzpunkt. Die Spur führte wieder einmal in die Unterwelt, zu Laster, Gier und Betrügerei – Grund genug für Joscelin Grey, jemand zu töten, aber warum sollte er das Opfer gewesen sein?
    Hatte Grey gemeinsame Sache mit Marner gemacht? Gab es irgendwo in dem Gewirr von Beweismaterial etwas, wodurch wenigstens er überführt werden konnte?
    »Wo steckt dieser Marner?« drängte er. »Ich brauche ihn, und die Zeit ist knapp.« Er hatte keine Zeit, Marners Adresse selbst hervorzukramen. Wenn er dem Mann vom Betrugsdezernat stümperhaft vorkam, konnte er auch nichts daran ändern. Das würde ohnehin bald keine Rolle mehr spielen.
    Der Kollege war plötzlich hellhörig geworden. Er richtete sich kerzengerade auf und schaute Monk gespannt an.
    »Wissen Sie was über Marner, das ich nicht weiß, Monk? Ich versuche schon seit Jahren, den schleimigen Mistkerl festzunageln. Weihen Sie mich ein?« Er sah unglaublich eifrig aus; seine Augen leuchteten, als stünde er kurz davor, das große Los zu ziehen. »Keine Bange, ich bin nicht scharf auf die Lorbeeren. Keiner erfährt ein Wort. Ich will nur sein blödes Gesicht sehen, wenn er endlich geschnappt wird.«
    Monk verstand das gut. Es tat ihm aufrichtig leid, daß er dem Mann nicht helfen konnte.
    »Ich habe nicht das geringste über Marner in der Hand«, gab er zu. »Ich weiß nicht einmal, ob die Gesellschaft, um die es geht, tatsächlich in betrügerischer Absicht gegründet wurde. Einer der Investoren hat Selbstmord begangen, und ich will den Grund dafür herausfinden.«
    »Wieso?« fragte der andere neugierig und sichtlich verblüfft; er legte den Kopf auf die Seite. »Was kümmert Sie ein Selbstmord? Ich dachte, Sie untersuchen den Mordfall Grey. Sagen Sie bloß nicht, Runcorn hat Sie davon freigestellt – ohne Festnahme?«
    Also wußte sogar er über Runcorns Absichten Bescheid. Genau wie der Rest der Belegschaft? Kein Wunder, daß Runcorn über

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