Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
können, um Jastail zu schützen.
Himmel und Allwillen, ich denke tatsächlich daran, meinem Entführer zu helfen. Wie gern würde ich ihn in den Klauen des Bar’dyn leiden sehen. Erst heute Nacht hat er mich wie ein Pfand im Spiel eingesetzt.
Der Bar’dyn machte einen weiteren Schritt auf Jastail zu. Er schien es nicht eilig zu haben, da er wusste, dass der Mann wehrlos war. Jastail stieß mit dem Kopf an einen Baumstamm und drehte sich auf die Seite, um darum herumzukriechen. Da hielt der Bar’dyn inne, und sein hässliches Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, als bedenke er den Tod, den er im nächsten Augenblick herbeiführen würde. Schwere Schritte trampelten vom Fluss her über den Waldboden und wurden rasch lauter. Ihnen blieb keine Zeit mehr. Wendra wusste, dass sie entweder jetzt eingreifen musste – oder gar nicht.
In diesem Augenblick angespannter Ruhe vor dem tödlichen Angriff versetzte Wendra ihrem Pferd einen Schlag mit den Zügeln und lenkte es mit einem großen Satz zwischen den Bar’dyn und Jastail. Der Bar’dyn blickte überrascht zu ihr auf, die Maske des Todes verschwand, und Hass verzerrte sein Gesicht.
»Sa’hon Ghellatoh«, kreischte der Bar’dyn so laut, dass sein Schrei die Luft um Wendra zusammenpresste. Er drehte sich um, als er den Lärm seiner nahenden Brüder hörte. »Dein Blut wird den Staub tränken, Kinderquell, auf dass du das Land nicht mehr mit ihrem Plan bevölkerst.«
Die kehlige, knurrende Stimme erschreckte ihr Pferd, es stieg und schlug mit den Vorderbeinen aus. Ein Huf traf den Bar’dyn an der verwundeten Schulter, so dass er sich vor Schmerz zusammenkrümmte. Ein weiterer Hufschlag an den Kopf warf die Bestie rücklings ins Gebüsch.
Wendra schrie Jastail zu. »Steht auf!«
Der Glücksspieler rappelte sich hoch und hielt sich an dem Baumstamm fest. Wendra lenkte ihr Pferd rückwärts, und Jastail kämpfte sich in den Sattel. Als der Wegelagerer einen Arm um ihre Taille schlang, brachen drei Bar’dyn aus dem Gestrüpp, in dem auch der erste Stilletreue wieder auf die Füße kam. Wendra trieb ihr Pferd voran, und sie jagten durch die Bäume, immer schneller. Die Bar’dyn nahmen die Verfolgung auf, ihre Schritte dröhnten durch den Wald. Doch allmählich vergrößerte das Pferd ihren Vorsprung, und ehe der Mond im Westen des Flusstals unterging, war Wendra wieder allein mit ihrem Entführer, der an ihrem Rücken zusammengesackt war.
Wendra hielt nicht an, um Jastails Wunde zu versorgen, und auch nicht, um sich aufzuwärmen oder etwas zu essen. Sie folgte dem Flussufer, das sie zwischen den Bäumen hindurch sehen konnte, hielt sich aber so weit entfernt, dass sie von einem Boot aus nicht gesehen werden konnte. Sie hatte so gehandelt, wie Balatin gehandelt hätte. Doch nun fragte sie sich, ob sie Jastail einfach vom Pferd stoßen sollte. Aber der Mann behauptete ja nach wie vor zu wissen, wo Penit war, und die Aussicht darauf, den Jungen wiederzufinden, fesselte sie an ihn.
Der kühle Duft der immergrünen Bäume tat wohl nach dieser hitzigen Flucht. Im Morgengrauen hielt Wendra an und half Jastail vom Pferd, damit er sich ausruhen konnte. Auch das Pferd brauchte ein wenig Ruhe. Sie hoffte, dass die Bar’dyn sich erst einmal wieder sammeln und ebenfalls rasten mussten.
Vogelstimmen erklangen im ersten Tageslicht, und Wendra schob Jastails Hosenbein hoch, um sich die Wunde anzusehen. Der Spieler murmelte unverständlich vor sich hin und zuckte zusammen, als sie ihn berührte. Wo der Bar’dyn ihn gepackt hatte, war sein Bein schwärzlich violett verfärbt, und die scharfen Krallen hatten mehrere tiefe Schnittwunden hinterlassen. Wendra schlich sich vorsichtig zum Fluss hinab, riss einen Streifen Stoff von ihrem Umhang und tauchte ihn ins Wasser. Während sie am Ufer kniete, blickte sie über die Wasserfläche, die den klaren Morgenhimmel spiegelte, nach Norden und Süden. Keine Boote, keine Bar’dyn störten den glatten Spiegel aus Wasser. Sie schloss die Augen und murmelte ein paar hoffnungsvolle Worte, die anderen mögen sicher in Decalam angelangt sein.
Sie hielt noch einen Moment lang inne, lauschte dem plätschernden Wasser zu ihren Füßen und sah den Schwalben zu, die dicht über die Oberfläche sausten, um ihre Nahrung zu fangen. Das Brennen in ihrer Lunge ließ nach und mit ihm der Drang, ein zorniges Lied hinauszuschreien. Die sanfte Melodie ihrer Spieldose klang ihr in den Ohren. Sie erlaubte sich, Jastail und alles, was seit ihrem Abstieg
Weitere Kostenlose Bücher