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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Orullian
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von der Hochebene von Sedagin geschehen war, für einen Moment zu vergessen. In der Ruhe ihrer Gedanken stieg Penits Gesicht vor ihr auf, der ihr versprach, bald zurückzukehren. Das Bild schalt sie, tadelte sie für ihre Dummheit und Selbstsucht. Sie verstand zwar nicht recht, wie sie sich selbst hatte heilen können, doch sie hatte es zu spät getan, nachdem der Junge schon fortgegangen war, um Hilfe zu suchen. Ihr wurde bewusst, dass sie noch gar nicht versucht hatte, dieses Lied für Jastail zu singen und damit vielleicht seine Wunde zu heilen. Doch selbst wenn das Lied bei jemand anderem wirken sollte – sie hatte nicht die Absicht, sein Leid zu lindern. Er würde überleben, das war genug. Wendra wrang den Stoffstreifen aus und kehrte zu Jastail zurück, der wieder ein wenig zu Bewusstsein gekommen war.
    »Warum habt Ihr mich gerettet?«, fragte er, als sie sich neben ihn kniete und vorsichtig das Blut von seinem Bein tupfte.
    »Weil ich glaube, dass Ihr die Wahrheit sagt, was den Jungen angeht«, erklärte sie ruhig.
    »Wenn nicht, wärt Ihr eine sehr schlechte Wette eingegangen.«
    Sie blickte von seinem verfärbten, aufgeschlitzten Bein auf, um ihren Worten mit einem mörderischen Blick Nachdruck zu verleihen. Aber er hatte recht. Ihr Zorn verflog, und ihr verzerrtes Gesicht erschlaffte. »So steht mein Leben also zum zweiten Mal auf dem Spiel«, entgegnete sie. »Aber diesmal habe ich das selbst entschieden.«
    Jastail runzelte die Stirn. »Weshalb ist das Leben dieses Kindes so viel wert, dass Ihr Euer eigenes dafür riskiert? Ihr hättet mich den Bar’dyn überlassen und entkommen können. Ihr könntet auch jetzt noch fliehen – ich bin zu schwach, um Euch daran zu hindern. Stattdessen versorgt Ihr meine Wunden … Habt Ihr denn gar nicht darüber nachgedacht, wie das Kind so weit von Euch fortgekommen ist? Wer es weggebracht hat und warum?«
    Wendra richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf Jastails Bein. Sie hatte die Wunden gesäubert, so gut es ging, und wickelte nun den Stoffstreifen um den verletzten Unterschenkel. Um ihm nicht unnötig wehzutun, band sie die Enden nur lose zusammen.
    »Wenn Ihr etwas über ihn wisst, dann halte ich es für wahrscheinlich, dass Ihr ihn entführt habt, genau so wie Ihr mich verschleppt habt«, erklärte Wendra. »Zu welchem Zweck, kann ich nicht erraten, aber ich habe gesehen, wie Ihr andere Menschen behandelt, und ich bilde mir nicht ein, dass Ihr mir diese gute Tat vergelten werdet.«
    Jastails harte, kantige Miene wurde kein bisschen weicher. Auf seinem Gesicht erkannte Wendra den gleichen Ausdruck, den sie in der vergangenen Nacht am Spieltisch gesehen hatte – Hemmungslosigkeit und planvolle Rache an jedem, den er kannte. Er würde wieder ganz er selbst werden, der Mann, der täuschte und andere benutzte und keine Grenzen kannte, wenn es darum ging, irgendein Spiel zu gewinnen.
    »Kommt«, sagte er. »Wir haben schon viel Zeit verloren.«
    Jastail stand auf, wobei er das verletzte Bein schonte. Wendra richtete sich auf und erlaubte ihm, sich auf sie zu stützen. So gingen sie zu ihrem Pferd und saßen auf.
    »Wir sollten uns darüber unterhalten, weshalb die Stilletreuen so tief in den Süden vordringen und so versessen darauf sind, uns zu finden«, sagte Jastail und zog fragend eine Augenbraue hoch.
    Wendra schnalzte mit der Zunge und ließ das Pferd ein gemächliches Tempo anschlagen. Langsam ritten sie weiter, bis das ganze Flusstal von der Sonne beschienen wurde. Einzelne Strahlen, in denen Staubkörnchen tanzten, fielen durch die hohen Zweige der Tannen.
    »Sagt mir, warum Bar’dyn durch einen kalten Fluss schwimmen, um ein Mädchen zu verfolgen«, begann Jastail erneut, als sie die Schlucht erreichten.
    » Mich haben sie nicht vom Pferd geschleudert«, erwiderte Wendra lächelnd. »Ich glaube eher, dass sie einen Wegelagerer gesucht haben – vielleicht hat er ihnen etwas gestohlen, das sie zurückhaben wollen.«
    Er lachte. »Ja, ja, sie vergessen sich in ihrem Drang, ein paar Münzen zurückzuholen, die im Born ohnehin nichts wert sind.« Er zögerte kurz, dann fuhr er ohne jede Belustigung fort: »Vielleicht geht es ihnen auch weniger um Metall als um den Mann.«
    »Die Stilletreuen wollen von einem Mann nichts außer seinen Tod«, erwiderte Wendra finster.
    »Vielleicht«, sagte Jastail, »aber das eine mag zum anderen führen.« Er lachte erneut. »Welch ungeheures Glück, dass ich letzte Nacht an Gynedos Tisch gleich zwei Schätze gewonnen habe.

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