Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
stürzte. Er klammerte sich an das Schwert, überließ sich aber dem Fall.
»Mach die Augen auf, Sodale!« Der Befehl durchdrang dröhnend das schwarze Nichts.
Braethen verstand ihn nicht und gab sich noch entspannter dem Absturz hin. Er freute sich darauf, im Frieden dieses Nichts ein wenig auszuruhen.
Eine Hand packte ihn. Und bittere Enttäuschung wallte in ihm empor.
»Die Augen auf!«, wiederholte die Stimme am Ende eines langen, schwarzen Tunnels.
Doch er verstand immer noch nicht ganz. Bilder strömten vor seinem inneren Auge vorbei, verschwammen, purzelten durcheinander, verblassten und wurden so schnell wieder von der Dunkelheit verschlungen, wie sie auftauchten. Schließlich sah er nichts mehr außer einem Grashalm.
Blinzelnd öffnete er die Augen und schaute in das harte Gesicht des Sheson in grellem, weißem Licht. Vendanji bedachte ihn mit einem harten Blick und zerrte ihn von seinem Lager hoch. Mira stand im Regen, ein paar Schritte weit weg und von demselben hellen Licht nur noch spärlich beschienen. Sie sah ihnen still zu. Braethen traf die Erkenntnis wie ein Schlag, als er die Quelle dieses Lichtscheins in seiner eigenen Hand fand, wo das Schwert im nächtlichen Dunkel strahlte.
Vendanji starrte ihn immer noch an. Das Licht beschien seine scharfen Gesichtszüge und die stark gerunzelten Brauen. Braethen glaubte, die Gedanken des Sheson spüren zu können, die sich wie ein schweres Grablied um ihn ausbreiteten. Diese Gedanken waren wie eine greifbare, lebendige Kraft. Braethen spürte sie so schwer auf sich, dass sie seinen eigenen Willen zu überwältigen drohten – welche Botschaft auch in ihnen liegen mochte.
»Willst du diese Aufgabe immer noch?« Das war eine Frage ohne Antwort, denn die Entscheidung war ja bereits getroffen. Eigentlich drückte sie aus, dass Braethen versagen könnte.
Vendanji wechselte einen letzten gequälten Blick mit dem Sodalen und wandte sich dann ab. Mit dem Sheson entfernten sich auch seine drückenden Gedanken, und Braethen schnappte erleichtert nach Luft. Er nahm nicht an, dass Vendanji diese Gedanken absichtlich ausgestrahlt hatte. Diesen Druck hatte Braethen in der ganzen Zeit, die er nun in der Nähe des Sheson verbracht hatte, noch nie gespürt. Sie fühlten sich an wie ein Joch, unter das man ein Lasttier schirrte. Ihm stand plötzlich das Skelett eines Ochsen vor Augen, dessen weiße Knochen von der Sonne gebleicht waren. Die Fetzen seines Jochs umrahmten noch immer Schädel und Nacken und verbanden ihn mit einem Wagen, auf den eine gewaltige weiße Skulptur aus Stein geladen war. Das Bild brannte sich in seinen Geist ein wie ein böses Omen. Braethen schüttelte den Kopf und eilte den beiden anderen nach.
»Es wurde ihm zu früh gegeben«, stellte Mira ruhig fest.
»Das spielt jetzt keine Rolle mehr«, erwiderte Vendanji mit leiser Stimme. »Zwei Wege, Sodalist. Ich hoffe, dass sie sich für dich noch vereinen.«
Vendanji ging davon und ließ Braethen mit dem allmählich erlöschenden Schwert stehen. Als das Licht von Miras skeptischer Miene wich, glaubte er die Worte »Für uns alle« zu hören. Doch sie wurden von der Nacht davongetragen, und nun fanden sie sich im Dunkeln wieder.
Mira ging zu dem Sheson hinüber. Die beiden unterhielten sich und blickten unter dem sternenklaren, wolkenlosen Himmel nach Osten.
Braethen beobachtete sie, und seine Wangen wurden heiß vor Zorn. Er wurde ausgeschlossen, während man zugleich von ihm verlangte, alles aufs Spiel zu setzen. Der Sheson hatte ihm vertraut, als er ihm das Schwert gegeben hatte, und Braethen wollte sich dessen würdig erweisen. Aber nun kam er sich vor wie als kleiner Junge, der am Tisch seines Vaters gesessen und in Büchern geblättert hatte, die er weder lesen noch verstehen konnte.
Mit so fester Stimme, wie ihm möglich war, fragte er: »Was muss vor mir geheim gehalten werden?«
Weder die Fern noch der Sheson nahmen seine Frage zur Kenntnis.
Er wiederholte sie.
Diesmal hielten sie inne. Ohne sich umzudrehen, antwortete Vendanji: »Du hast das Schwert leuchten lassen, Sodale. Jeder Velle im Umkreis von sieben Tagesritten weiß jetzt, wo wir sind. Wir können nur noch abschätzen, woher die Stilletreuen wahrscheinlich kommen werden, und unseren Weg entsprechend wählen.«
Mira sah ihn gelassen an. Keine Verachtung lag in ihrem Blick, aber auch kein Trost.
»Mach dir keine Gedanken, Sodale«, fügte Vendanji hinzu. »Es gibt nur einen Weg für uns, und die Stilletreuen werden sich
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