Das Gewölbe des Himmels 2: Der Unrechte
von mir zu erzählen. Vielleicht wird dir das helfen, für den Augenblick mit der Ungewissheit zu leben. Du hast vor kurzem deinen Einstand erlebt, einen Tag, der das Ablegen der Kindheit und die Annahme des Lebens symbolisiert, das danach kommt. Im Licht zehntausend weiterer Himmel wirst du dich abmühen, lachen und leiden. Aber was du den Tag deines Wandels nennst, ist der letzte Himmel einer Fern. Für die Menschen ist es ein Festtag, aber für die Fern ist es ein Abgesang. Es geht mit unserem Hüteramt einher, dass wir nur bis zum Wandel leben. Das verleiht uns die Freiheit, zu sagen und zu tun, was notwendig ist, um die Bundessprache zu behüten, die die Verfasser der Charta uns hinterlassen haben, und dabei nie für die Dinge zur Verantwortung gezogen zu werden, die wir unternehmen müssen, um sie zu beschützen – nie unsere Seelen in Gefahr zu bringen. Aber wir bedauern das nicht … Nach dem Dahinscheiden meiner Schwester bin ich jetzt der letzte Spross meiner Familie. Sie war Elans Frau. Und bevor ich abreise, wird er mich bitten zu bleiben. Ihre Krone anzunehmen und einen Erben zur Welt zu bringen. Es wird eine Ehre sein, darum gebeten zu werden, und unser Volk hat es bitter nötig.« Sie hielt inne und sah ihn eindringlich an. »Aber ich will nicht Königin werden. Und ich will kein Kind haben, das ich nie meinen Namen sagen hören werde.«
Tahn vergaß zu atmen. Ihre ganze Rede hindurch hatte Mira sich kein einziges Mal Verzweiflung über all das anmerken lassen. Tahn staunte über ihre Stärke. »Es ist seltsam. Du erinnerst dich nicht an deine Eltern, weil sie in die Erde zurückgekehrt sind, als du noch zu klein warst, um später daran zurückdenken zu können. Ich dagegen kann das Gesicht meines Vaters sogar jetzt noch vor meinem inneren Auge sehen und seine Stimme hören – und doch kann ich mich nicht an meine Kindheit erinnern.«
Er hatte es ausgesprochen. Er hatte sich eine der großen Bürden, die auf ihm lasteten, von der Seele geredet. Und es fühlte sich gut an, es Mira gegenüber zu tun.
Die Fern erwiderte seinen Blick nachdenklich. Er sah ihrem Gesicht an, dass sie verstand, wie schwerwiegend das war, was er gerade gesagt hatte. »Warum ist es dir so wichtig, dich an deine Kindheit zu erinnern, Tahn? Wer du bist, wird von den Entscheidungen bestimmt, die du jetzt triffst, und für dich gilt das noch weitaus mehr als für die meisten anderen.«
Tahn dachte über ihre Worte nach. »Vielleicht hast du recht.« Und dann fügte er hinzu: »Und das Gleiche würde auf jedes Kind, das du hast, zutreffen.«
Sie saßen da und sahen einander an, und er wünschte sich, er hätte die Arme um sie schlingen können, wusste aber nicht, wie er es anders als unbeholfen tun sollte. Das Zischen der Lampe war plötzlich sehr laut.
Tahn dachte darüber nach, dass sein Leben fast wie die Kehrseite von dem der Fern wirkte. Tahn konnte sich an die meisten seiner Melurajahre nicht erinnern, aber die Möglichkeit eines langen Lebens lag vor ihm. Miras Leben war schon fast vorbei. Aber in einer Hinsicht ähnelten sie sich: Ein Großteil ihrer Kindheit war vaterlos gewesen, ob es nun am Tod oder am Fehlen einer Erinnerung lag. Tahn fragte sich, ob sie das beide geprägt hatte. Für Mira schien die Frage keine Rolle zu spielen, aber für Tahn tat sie es noch. Die Dinge, die ihn am meisten geprägt hatten, stammten aus einer Vergangenheit, die ihm unbekannt war.
Vielleicht sollte ihm Miras Entschlossenheit, diese Reise zum Fels der Erneuerung zu unternehmen, eine Lehre sein, würde sie dafür doch schließlich so viel von ihrem Leben opfern, das so bald enden würde.
Als er darüber nachdachte, kam Tahn sich selbstsüchtig vor.
Aber er wusste so vieles noch nicht. Die Bar’dyn waren nach Helligtal eingedrungen, und jetzt führten ein Sheson und eine Fern Tahn und die anderen zum Fels der Erneuerung. Die Empfindungen, die sich in ihm regten, zwangen ihn, Entscheidungen zu fällen, die er nicht verstand. Dann war da noch das Mal auf seinem Handrücken. Was hatte das alles zu bedeuten?
Und unter allem verbarg sich die vage Erinnerung an einen Mann, auf dessen Gesicht er sich nicht besinnen konnte, dessen Ratschläge aber immer noch tief in seinem Geist nachhallten.
Der gesichtslose Mann aus seinen Träumen und die Stimme aus seinen Albträumen.
Er versuchte, an Rolen und die Weisheit zurückzudenken, die er ihm in den Eingeweiden des Solath Mahnus vermittelt hatte, und glaubte, dass ihm etwas leichter ums
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