Das Glasperlenspiel
als bei der Tür stehenbleiben und warten, bis er aus der Versunkenheit zurückkehre. Dies dauerte sehr lange, es dauerte eine Stunde und zwei Stunden, ich wurde schließlich müde und ließ mich zu Boden gleiten; dort saß ich, an die Wand gelehnt, und wartete weiter. Am Ende sah ich den Mann langsam erwachen, er bewegte den Kopf ein wenig, er reckte die Schultern, er schlug langsam die gekreuzten Beine auseinander, und indem er sich zum Aufstehen
anschickte, fiel sein Blick auf mich.›Was willst du?‹fragte er.
Ich erhob mich und sagte, ohne etwas überlegt zu haben und ohne recht zu wissen, was ich sagte:›Es sind die Sonaten von Andrea Gabrieli.‹Er stand vollends auf, setzte mich in seinen einzigen Stuhl, nahm auf dem Tischrande Platz und
sagte:›Gabrieli? Was hat er dir denn getan mit seinen Sonaten?‹Ich fing an, ihm zu erzählen, wie es mir gegangen war,
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zu beichten, wie es um mich stehe. Er fragte mich mit einer Genauigkeit, die mir pedantisch schien, nach meiner Geschichte aus, nach den Studien um Gabrieli und die Sonate, er wollte wissen, wann ich aufgestanden, wie lang ich gelesen, wieviel ich musiziert, zu welchen Stunden ich gegessen und mich schlafen gelegt habe. Ich hatte mich ihm anvertraut, ja aufgedrängt, so mußte ich seine Fragen dulden und beantworten, aber sie beschämten mich, sie gingen immer unerbittlicher ins einzelne, es wurde mein geistiges und mein moralisches Leben in den letzten Wochen und Monaten analysiert. Dann schwieg er plötzlich, der Yogin, und als ich auch daraus nicht klug wurde, zuckte er mit den Schultern und sagte: »Siehst du es denn nicht selber, wo der Fehler liegt?‹Nein, ich konnte es nicht sehen. Und jetzt rekapitulierte er erstaunlich genau alles, was er aus mir herausgefragt hatte, bis zurück zu den ersten Anzeichen von Ermüdung, Widerwillen und geistiger Verstopfung, und wies mir nach, daß dies nur einem allzu frei drauflos Studierenden habe passieren können, und daß es hohe Zeit für mich gewesen sei, die mir verlorengegangene Kontrolle über mich und meine Kräfte mit fremder Hilfe wiederzufinden. Ich hätte, so wies er mir nach, wenn ich mir schon die Freiheit genommen hatte, auf regelmäßige Meditationsübungen zu verzichten, doch
wenigstens gleich bei den ersten üblen Folgen mich dieser Versäumnis erinnern und sie wiedergutmachen sollen. Und er hatte vollkommen recht. Ich hatte nicht nur eine ganze Zeit lang das Meditieren unterlassen, hatte keine Zeit gehabt, war immer zu unlustig und zerstreut oder allzu studienbeflissen und angeregt gewesen - ich hatte sogar mit der Zeit ganz das Bewußtsein meiner dauernden Unterlassungssünde verloren, und hatte mich jetzt, da ich beinah gescheitert und verzweifelt war, erst durch einen andern an sie erinnern lassen müssen. Und in der Tat hatte ich dann die größte Mühe, mich aus der Verwahrlosung herauszureißen, ich mußte zu den Schul- und Anfängerübungen im Meditieren zurückkehren, um nur die
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Fähigkeit zu Sammlung und Versenkung allmählich mir wieder anzueignen.«
Der Magister endete seinen Stubenspaziergang mit einem kleinen Seufzer und mit den Worten: »So ist es mir damals gega ngen, und es beschämt mich noch heute ein wenig, davon zu sprechen. Aber es ist so, Josef: je mehr wir von uns verlangen, oder je mehr unsre jeweilige Aufgabe von uns verlangt, desto mehr sind wir auf die Kraftquelle der Meditation angewiesen, auf die immer erneute Versöhnung von Geist und Seele. Und - ich wüßte noch manche Beispiele dafür - je intensiver eine Aufgabe uns in Anspruch nimmt, uns bald erregt und steigert, bald ermüdet und niederdrückt, desto leichter kann es geschehen, daß wir diese Quelle ve rnachlässigen, so wie man beim Verbohrtsein in eine geistige Arbeit leicht dazu neigt, den Körper und seine Pflege zu vernachlässigen.
Die wirklich großen Männer der Weltgeschichte haben alle entweder zu meditieren verstanden oder doch unbewußt den Weg dorthin gekannt, wohin Meditation uns führt. Die andern, auch die begabtesten und kräftigsten, sind alle am Ende gescheitert und unterlegen, weil ihre Aufgabe, oder ihr ehrgeiziger Traum, so von ihnen Besitz ergriff, sie so besaß und zu Besessenen machte, daß sie die Fähigkeit verloren, sich immer wieder vom Aktuellen zu lösen und zu distanzieren. Nun, du weißt dies ja, man lernt es ja schon bei den ersten Übungen.
Es ist unerbittlich wahr. Wie unerbittlich wahr es ist, sieht man erst, wenn man den Weg einmal verloren
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