Das große Doppelspiel
spät bin, bin ich eben zu spät. Sie werden war ten.«
Sie dachte kurz daran, noch ein wenig Zeit
herauszuschin den, indem sie in ihrem Zimmer blieb und
Müdigkeit vor schützte, aber sie mußte an den
General denken. Je eher sie ihn kennenlernte, um so besser.
Sie stieg widerwillig aus der Wanne, frottierte sich
rasch ab, langte nach dem seidenen Morgenrock an der Tür und ging
ins Schlafzimmer zurück. Sie setzte sich an den Frisiertisch, und
Maresa fing sofort an, ihr Haar zu bürsten, etwas, das sie im
mer ungemein irritierend gefunden hatte. Sie konnte es nicht ausstehen,
jemand anderen an ihr Haar zu lassen, aber nun zwang sie sich, still
dazusitzen, wie Anne-Marie es getan hätte.
»Was möchte Mademoiselle anziehen?«
»Ich weiß nicht. Ich sehe mal nach.«
Das war die einzige vernünftige Lösung, denn
der Schrank war zum Bersten voll von Kleidern und Kostümen. Kein
Zwei fel, ihre Schwester hatte Geschmack und Stil, und sie hatte
das nötige Geld, um ihre Wünsche zu befriedigen. Sie
wählte ein fach ein fließendes, elegantes Kleid in
gedämpften blauen und grauen Tönen. Die Schuhe waren ein
bißchen eng, aber sie würde sich daran gewöhnen
müssen. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war fünf Minuten
nach sieben.
»Ich denke, es ist Zeit zu gehen.«
Maresa öffnete ihr die Tür. Als
Geneviève an ihr vorbeiging, hätte sie schwören
können, daß die Zofe leicht vor sich hin lächelte.
Chantal kam mit einem zugedeckten Tablett die Treppe her auf.
»Was ist das?« fragte Geneviève.
»Die Gräfin hat beschlossen, heute auf
ihrem Zimmer zu es sen.« Sie war ausgesprochen
mürrisch, wie üblich. »Er ist bei ihr.«
Geneviève machte ihr die Tür auf. Hortense
saß in einem der hohen Sessel am Kamin des Boudoirs und trug
einen wunder schönen chinesischen Hausmantel aus schwarzem
und goldfar benem Brokat. General Ziemke lehnte an der
Rückenlehne des Sessels. Er sah in der Tat sehr attraktiv aus. Als
er sich um wandte und Geneviève erblickte, lächelte er
herzlich. Dieses Lächeln war bestimmt nicht aufgesetzt oder
gezwungen.
»Endlich«, sagte Hortense. »Jetzt
werde ich vielleicht ein bißchen Frieden finden können. Ich
habe manchmal den Ein druck, daß ich von lauter Idioten
umgeben bin.«
Ziemke küßte Geneviève die Hand. »Sie haben uns gefehlt.«
»Oh, hinaus mit euch«, sagte Hortense
ungeduldig und gab Chantal ein Zeichen, mit dem Tablett zu kommen.
»Was haben Sie da für mich?«
Ziemke lächelte. »Ein General ist nur dann
ein wirklich guter Soldat, wenn er weiß, wann ein Rückzug
sich auszahlt. Ich vermute, dies ist ein solcher Augenblick.«
Er öffnete Geneviève die Tür, neigte den Kopf, und sie ging hinaus.
Am Eßtisch saßen vielleicht zwanzig
Personen, meist Män ner. Einige Frauen sahen aus wie
Sekretärinnen und trugen Abendkleider, und zwei wirklich
hübsche Mädchen hatten Uni form an, mit einem silbernen
Blitz am linken Ärmel, Funkper sonal aus der Zentrale.
René hatte sie vor ihnen gewarnt. Sie seien sehr gefragt bei den
Offizieren, hatte er gesagt. Geneviè ve betrachtete sie
kurz und glaubte ihm aufs Wort.
Max Priem saß ihr gegenüber,
und am anderen Ende des Ti sches bemerkte sie Reichslinger mit
einigen anderen SS Offizieren. Wenn er ihr einen Blick zuwarf,
glitzerte in seinen Augen Haß, und alles an ihm erinnerte sie
sonderbarerweise an Joe Edge. Sie hatte sich da ohne Zweifel einen
Feind geschaf fen.
Einige Unteroffiziere in Ausgehuniform und
weißen Hand schuhen kamen mit Wein, und sie erinnerte sich
daran, daß Anne-Marie partout keinen Rotwein mochte, dafür
aber schon als ganz junges Mädchen mehr Weißwein hatte
trinken können, als sie, Geneviève, jemals vertragen
hätte. Sie registrierte auch freudlos, daß der
Weißwein ein Sancerre war, ein guter Trop fen aus dem
Weinkeller ihrer Tante, der inzwischen sicher schon arg dezimiert war.
Reichslinger übertönte die allgemeine
Unterhaltung mit ei nem lauten Lachen. Nach dem Gesicht zu
urteilen, das die Leu te hi seiner unmittelbaren Nähe
machten, war er nicht unbe dingt beliebt. Ziemke lehnte sich zu
ihr. »Ich hoffe, die Gräfin wird morgen disponiert
sein.«
»Sie kennen ihre Stimmungen genauso gut wie ich.«
Ȇbermorgen wird uns Feldmarschall Rommel
persönlich besuchen. Wir geben ihm zu Ehren einen Empfang mit
an schließendem Ball, und wenn die Gräfin eine ihrer
Migränen haben sollte …« Er zuckte mit den Schultern.
»Es wäre
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