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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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bitterkalter Wintertag gewesen war, während jetzt Wildblumen die Wiese in ein übermütiges Farbenmeer verwandelten. Tugomir fühlte die Nachmittagssonne auf den Schultern, deren Brennen auf seinem dunklen Obergewand allmählich unangenehm wurde, doch er konnte sich nicht rühren.
    Bis seine Frau die Hand auf seine legte und sagte: »Sie ist noch schöner, als ich sie mir vorgestellt habe.«
    Er erwachte aus seiner Starre und nickte. »Ja, aus der Ferne betrachtet ist sie ganz ordentlich. Lass uns abwarten, was wir vorfinden, wenn wir näher kommen.« Er drehte sich im Sattel um und hob die Hand, um die Aufmerksamkeit seiner Reisegesellschaft zu erlangen. »Wir sind am Ziel. Heute Nacht werdet ihr alle ein Dach über dem Kopf haben. Am diesseitigen Ufer leben ein paar Fischer.« Er wies auf das halbe Dutzend Hütten am Ufer. »Sie werden uns übersetzen. Semela, Dervan, seid so gut und kommt mit mir. Ihr Übrigen wartet hier, bis wir euch Flöße herüberschicken.«
    Dragomira und Alveradis tauschten einen Blick. Sie ahnten vermutlich, dass er sie vorerst zurückließ, weil er nicht wusste, welche Art von Willkommen sie erwartete, und sie waren besorgt. Aber sie erhoben keine Einwände. Niemand erhob Einwände. Anfangs hatte es ihn konsterniert, dass auf einmal alle widerspruchslos taten, was er sagte – es war so ein krasser Kontrast zu den vergangenen Jahren –, aber er hatte sich schnell daran gewöhnt.
    Nach ihrer Hochzeit waren er und Alveradis mit Dragomira und Widukind nach Magdeburg zurückgekehrt, um die freigelassenen Daleminzer um sich zu sammeln und dann die Elbe zu überqueren und endlich die Heimreise anzutreten. Der Abschied von Magdeburg war wehmütiger ausgefallen, als Tugomir lieb war. Vor allem von den Magdeburger Frauen. Er war in das Hurenhaus an der Ufergasse gegangen, wo er und Thankmar manch wilde Nacht verlebt hatten, und die Huren hatten zumindest glaubhaft den Anschein erweckt, als bedauerten sie, dass er ihnen mit zugeschnürten Hosen Lebewohl sagte.
    Das Gesinde und die Garnison auf der Pfalz ebenso wie die Handwerker und Kaufleute der Stadt waren untröstlich, dass sie den slawischen Heiler verloren, der im Laufe der Jahre so viele von ihnen von Krankheiten und Verwundungen kuriert oder den Sterbenden den Weg erleichtert hatte. Und er konnte sie nicht einmal damit trösten, dass sein Schüler und Gehilfe, dem er alles beigebracht hatte, was er wusste, zurückbleiben und ihnen in Zukunft beistehen würde.
    Tugomir hatte gerätselt, wie Semela und Rada sich entscheiden würden. Sie waren in der sächsischen Welt erwachsen geworden, sie waren Christen, und anders als Tugomir hatten sie kein Zuhause mehr, das sie zurückrief. Er hätte es verstanden, wenn sie geblieben wären. Sie wären weiß Gott nicht die einzigen Slawen gewesen, die sich in der aufstrebenden Handelsstadt niederließen, denn Menschen aller Völker und aus aller Herren Länder strömten nach Magdeburg, sogar die reichen Kaufleute aus dem Osten, die sich Juden nannten. Aber er hatte Semelas und Radas Ergebenheit unterschätzt. Als er ihnen sagte, sie seien genauso frei wie er und könnten selbst entscheiden, hatten sie ihn nur verständnislos angeschaut, und Semela hatte gesagt: »Wir gehen, wohin du gehst, Prinz.«
    Und die knapp vier Dutzend daleminzischen Frauen und Männer dachten genauso. Manche hatten den Wunsch geäußert, nach Jahna zurückzukehren und zu sehen, ob irgendwer die Burg wieder aufgebaut hatte. Doch es wäre eine Reise elbeaufwärts gewesen, ebenso weit wie ins Havelland und beinah entgegengesetzt. So war die Entscheidung rasch gefallen: Alle wollten mit Tugomir gehen und herausfinden, was das Leben bei den Hevellern ihnen zu bieten hatte. Die Ruinen der Jahnaburg würden wohl nicht weglaufen, hatte Dervan gemutmaßt.
    Also hatte Tugomir seine Vorräte an Salben und Tinkturen zu Bertha gebracht. Die Wäscherin war über die Jahre so häufig in seinem Haus gewesen, dass sie zwangsläufig ein paar Grundbegriffe der Heilkunst erlernt hatte, und sie würde die Arzneien verteilen, ohne irgendwen zu vergiften, da war er einigermaßen zuversichtlich. Obwohl Bertha inzwischen einen der Stallknechte geheiratet und drei stramme Knaben zur Welt gebracht hatte – alle drei weizenblond, also vermutlich nicht Tugomirs –, weinte sie bitterlich bei ihrem Abschied, und Tugomir war verdammt nahe daran gewesen, sein Ehegelöbnis, das noch keine Woche alt war, kurzzeitig zu vergessen. Zum Glück waren zwei der

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