Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
strammen Blondschöpfe, die sie zum Spielen im Garten gelassen hatte, unter lautem Geschrei in den Fischteich gepurzelt, ehe Tugomir der Versuchung erlegen war. Er hatte die Knirpse aus dem Wasser geholt und ihrer Mutter einen Lapislazuli geschenkt, den er auf dem Markt von einem slawischen Händler für mehr Geld erworben hatte, als er eigentlich erübrigen konnte. Aber er wusste, was er Bertha schuldig war. Sie war nicht nur seine Komplizin bei einem riskanten Verbrechen, sondern viele Jahre lang sein oft bitter nötiger Trost gewesen. Also hatte er das Geld gern hergegeben für den Stein, der das wirksamste Heilmittel gegen Traurigkeit war.
Dann hatten sie endlich die Elbe überquert, und Tugomir hatte sich nicht geschämt, im Ufergras auf der anderen Seite niederzuknien und den slawischen Boden zu küssen. Viele waren seinem Beispiel gefolgt.
Der Fischer, den er bat, ihn auf die Burginsel überzusetzen, nickte bereitwillig, dann stutzte er, starrte Tugomir einen Moment mit leicht geöffneten Lippen an und rief schließlich aus: »Bei Triglavs drei Köpfen … Du bist Prinz Tugomir!«
Der Heimkehrer nickte. »Du hast ein gutes Gedächtnis, Visan.«
»So wie du«, gab der Mann lächelnd zurück und wies dann einladend auf sein Boot.
Tugomir bedeutete seinen Begleitern, vor ihm einzusteigen, mahnte aber: »Semela, der Hut.«
Semela fasste sich an den Kopf. Er hatte über die Jahre eine Vorliebe für sächsische Strohhüte entwickelt und behauptete gern, sie schützten den Kopf so zuverlässig vor Regen wie ein gut gedecktes Strohdach ein Haus. Und weil Semela so ein gut aussehender Kerl war, konnte er diese Dinger sogar tragen, ohne wie ein Trottel mit einem Brotkorb auf dem Kopf auszuschauen.
»Du meinst, er könnte Anstoß erregen?«, fragte der junge Mann ungläubig.
Tugomir nickte. »Sie werden ohnehin argwöhnen, dass wir zu sächsisch geworden sind, um vertrauenswürdig zu sein. Nicht nötig, dass wir diesen Argwohn mit sächsischen Gepflogenheiten nähren.«
Bedauernd nahm Semela seine Kopfbedeckung ab und warf sie seiner Frau zu. »Pass gut auf ihn auf«, rief er ihr grinsend zu. »Ich schätze, sie sind hier schwer zu bekommen …«
Die versteinerte Miene, mit welcher der Fischer die Debatte verfolgt hatte, war ein anschaulicher Beweis, dass Tugomirs Bedenken begründet waren. Visan kehrte seinen Fahrgästen den Rücken, legte ab und schob das Boot mit einer langen Stake Richtung Flussmitte.
Sie sprachen nicht während der kurzen Überfahrt. Tugomir stellte keine Fragen, denn nur die Priester, sein Neffe Dragomir und die restlichen Männer seiner Familie, die noch übrig waren, konnten ihm sagen, was er wissen musste. Also stand er mit verschränkten Armen im Bug und sah zu der mächtigen Wallanlage hinauf, die schnell näher kam.
Unter leisem Rascheln glitt das Boot ins Schilf. Tugomir sprang behände von Bord. »Hab Dank, Visan.«
Der Fischer nickte. »Möge deine Heimkehr unter einem guten Stern stehen, Prinz«, wünschte er.
Tugomir sah ihn an, um festzustellen, ob es höhnisch, aufrichtig oder einfach nur höflich gemeint gewesen war. Aber der reservierte Ausdruck war aus der Miene des Fischers verschwunden.
Tugomir antwortete: »Mögen die Flussgeister dir gewogen und deine Netze alle Tage prall gefüllt sein.«
Flankiert von Semela und Dervan ging er die wenigen Schritte bis zu dem mächtigen Tor, das in die Vorburg führte. Es war weit geöffnet und unbewacht. Im Schatten des hölzernen Torhauses blieben sie stehen und nahmen das bunte Treiben in Augenschein. Die Hütten der Krämer und Handwerker, die beim Fall der Burg damals niedergebrannt waren, hatten die Brandenburger natürlich längst ersetzt. Die neue Siedlung wies denselben Mangel an Ordnung auf wie die alte. Die Häuschen standen kreuz und quer, manche von kleinen Gärten umgeben, und Tugomir erfreute sich an dem malerischen Durcheinander. Über offenen Feuerstellen vor den Häusern kochten die Frauen das Essen; Töpfer, Gerber und der Schmied gingen ebenfalls unter freiem Himmel ihrer Arbeit nach. Hinter einem der Häuser waren ein paar Sklaven dabei, die Schafe zu scheren. Zwei sehr junge Schwestern standen zusammen am Dorfofen und warteten vermutlich darauf, dass ihre Brotfladen fertig wurden. Und auf dem freien Platz in der Mitte, der heute größer schien als früher, hatte sich eine Menschentraube um die Karren dreier fahrender Händler gebildet, die anscheinend gute Geschäfte machten.
Tugomir sog die vertrauten
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