Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
höre.«
Tugomir schenkte ihm ein äußerst sparsames Lächeln. »Ich erinnere mich, du warst schon immer geschickt im Sammeln von Neuigkeiten. Und schnell.« Visan der Fischer musste Tuglo aufgesucht haben, unmittelbar nachdem er Tugomir auf der Burginsel abgesetzt hatte. Und wo immer Tuglo auch gesteckt haben mochte, er war gewiss nicht vom Triglav-Heiligtum so schnell hierhergekommen, denn der Harlungerberg lag mindestens eine Meile von der Burg entfernt im Wald.
»Willst du es leugnen?«, fragte der Priester herausfordernd.
»Warum sollte ich?«, gab Tugomir zurück. »Ich habe eine sächsische Grafentochter zur Frau genommen und zähle einen sächsischen Priester zu meinen Freunden und Ratgebern. Das kann dich kaum verwundern. Zehn Jahre gehen nicht spurlos an einem Mann vorüber.«
»Oh, dessen bin ich sicher«, konterte Tuglo. »Ich schätze, sie haben einen waschechten Sachsen aus dir gemacht.«
»Das haben sie nicht«, widersprach Semela aufgebracht. »Er hätte sich das Leben verdammt viel leichter machen können, wenn er wie sie geworden wäre, aber er ist geblieben, wer er war. Und du hast überhaupt kein Recht, an ihm zu zweifeln, denn nicht du hast jahrelang unter Feinden gelebt.«
Tuglo musterte den jungen Daleminzer von Kopf bis Fuß und sagte dann scheinbar nachsichtig: »Ich glaube, du weißt nicht, wen du vor dir hast.«
»Ich weiß ganz genau, wen ich vor mir habe: eine vertrocknete Fledermaus im Priestergewand, die den Leuten Angst mit der Macht der Götter macht und es obendrein nötig hat, einen Gast in der Halle des Fürsten darauf hinzuweisen, wen er vor sich hat.« Er schnaubte. »Wenn du da gewesen wärst, wo wir waren, hättest du vor so lächerlichen Gestalten auch keine Angst mehr.«
Tugomir wies ihn nicht zurecht. Als Tuglo sich an ihn wandte – sprachlos vor Entrüstung –, hob er lediglich die Schultern und sagte: »Mein Vater behauptete gern, die Aufrichtigkeit der Daleminzer übersteige gelegentlich ihr Taktgefühl.«
Dervan versuchte ohne großen Erfolg, ein Lachen in ein Hüsteln zu verwandeln.
Dragomir hob beide Hände zu einer beschwichtigenden Geste. »Wir wollen dieses freudige Wiedersehen nicht mit unbedachten Worten trüben«, bat er. »Hier kommt der Wein. Lass uns einen Becher auf die Heimkehr meines Onkels trinken, Tuglo, ich bitte dich inständig. Es ist so ein Freudentag.«
Auf seine einladende Geste nahmen alle an der Tafel Platz. Als Asik den Weinbecher vor Tuglo stellte, knurrte der Priester und warf dem Sklaven einen Blick zu, den man kaum anders als angewidert nennen konnte. Tugomir fragte sich, ob Tuglos fanatischer Hass auf die Sachsen ihm früher einfach nicht aufgefallen war, weil er selbst ihn teilte, oder ob er im Lauf der Jahre schlimmer geworden war.
Sie hoben die Becher, und Tugomir trank seinem Neffen zu, der die Geste mit einem unkomplizierten Lächeln erwiderte.
»Ich glaube nicht, dass du es noch einen Freudentag nennen wirst, wenn dein Onkel dir eröffnet, wozu er hergekommen ist, mein Fürst«, unkte der alte Priester.
»Wieso nicht?«, fragte Dragomir. »Wozu bist du denn hergekommen, Onkel?«
Es ärgerte Tugomir, dass Tuglo, dieser alte Ränkeschmied, ihn zwang, vorzeitig aus der Deckung zu kommen, aber natürlich blieb ihm nichts anderes übrig. »Um das Erbe meines Vaters als Fürst der Heveller anzutreten, Dragomir.«
» Was ?« Die weit aufgerissenen Augen ließen seinen Neffen mit einem Mal noch viel jünger wirken, als er war. Tugomirs Forderung traf ihn anscheinend wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel, was Tugomir zu der Frage führte, ob der Junge vielleicht nicht nur das Gesicht, sondern auch den Verstand – oder besser den Mangel daran – von seinem Vater geerbt hatte. Langsam erhob Dragomir sich von seinem thronartigen Sessel. »Mit welchem Recht willst du mich verdrängen?«, fragte er. Es klang gekränkt.
Tugomir betrachtete ihn, eine Hand scheinbar lässig um den Tonbecher gelegt. Es war ein gefährlicher Moment. Aus den Augenwinkeln sah er, wie angespannt Semela und Dervan waren, Letzterer hatte gar verstohlen die Hand an das Heft seines Messers gelegt. Und natürlich war es kein Zufall, dass Tuglo diese Konfrontation so rasch herbeigeführt hatte. Der Priester wollte, dass sie dies hier austrugen, ehe Tugomirs zwanzig Daleminzer auf die Burg kamen. Obgleich die Zahl der Hevellerkrieger natürlich um ein Vielfaches größer war, würde Tugomir wahrscheinlich nie wieder so verwundbar sein wie in diesem
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