Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
engen Hosen gebunden waren.
»Woher hat er goldene Schuhbänder?«, rätselte Dragomira leise.
»Ich nehme an, er hat sie in Magdeburg gekauft«, gab Widukind ungerührt zurück. »Der Leibarzt des Königs ist selten ein armer Mann.«
Tugomirs Miene war ernst, aber nicht finster, als er den Blick über die Menschen in der Halle schweifen ließ. Er strahlte eine unerschütterliche Gelassenheit aus, die er nie und nimmer empfinden konnte, und Dragomira war unbändig stolz auf ihren Bruder.
Der ergriff die Hand seiner Frau, deren Kleider ebenso elegant waren wie seine. Das hauchdünne Kopftuch, welches ihr bis auf die Hüften fiel, wurde gar von einem goldenen Stirnreif gehalten.
Widukind betrachtete das Paar mit so etwas wie Genugtuung. »Meine kluge Tante Mathildis sagt gern, dass selbst die unwilligsten Untertanen sich dem Anblick königlicher Pracht unterwerfen, denn sie sei ein Symbol der von Gott verliehenen Macht, das selbst der sturste Esel versteht.«
»Ich kann kaum glauben, dass sie das zu Tugomir oder Alveradis gesagt hat, aber offenbar wussten sie es trotzdem«, gab Dragomira gedämpft zurück. »Lass uns abwarten, ob es auch bei slawischen Eseln wirkt.«
Dragomir war unschlüssig vor dem Platz des Fürsten stehen geblieben, so als wage er nicht so recht, ihn einzunehmen. Das wäre bei Bolilut niemals geschehen, fuhr es Dragomira durch den Kopf, denn der Vater des Jungen war ganz und gar von seinem Machtanspruch und seiner Überlegenheit überzeugt gewesen. Sie empfand Sympathie und Mitgefühl für ihren von Zweifeln geplagten Neffen, den sie als gutartiges und fröhliches Kind in Erinnerung hatte.
Tugomir trat zu ihm, nickte eine Spur kühl und wandte sich dann den führenden Kriegern und Priestern der Heveller zu, die an der Tafel saßen. Es war immer noch still, immer noch starrten alle ihn an. Tugomir wartete – in aller Seelenruhe, so schien es –, und worauf er wartete, verstand Dragomira, als Godemir, der Hohepriester des Jarovit, sich von seinem Platz erhob. »Die Götter seien gepriesen. Der Fürst der Heveller ist heimgekehrt!«
Becher trommelten auf die Tafel, aber nicht viele.
»Sag uns, Tugomir, bist du gekommen, um das Erbe deines Vaters anzutreten?«, fragte der alte Falibor.
»Wenn es der Wille des Volkes ist, ja«, gab Tugomir zurück.
»Der Wille des Volkes?«, flüsterte Widukind verständnislos. »Ich dachte, bei euch gilt das Erstgeburtsrecht, komme was wolle.«
Dragomira nickte. »Aber wir Slawen sind nicht so obrigkeitsgläubig wie ihr Sachsen«, hielt sie ihm vor Augen. »Hier gibt es kein Gottesgnadentum. Ein Fürst braucht die Zustimmung der Krieger und Priester, um herrschen zu können, und einstweilen ist es Dragomir, der ihre Zustimmung hat.«
»Oh.« Widukind tastete unwillkürlich nach dem silbernen Kruzifix am Ende seines Gürtels.
Dragomira schaute sich kurz um. Viele Heveller hatten sich vor der Halle versammelt, Handwerker und Bauern aus der Vorburg, einfache Soldaten und ein paar Frauen. Die, die vorne standen, gaben nach hinten weiter, was in der Halle gesagt wurde. Semela, Dervan und viele andere Daleminzer hatten sich unter sie gemischt und erzählten ihnen vermutlich, was Tugomir in den bitteren Jahren der Gefangenschaft für sie getan hatte.
»Ich bin sicher, es ist der Wille des Volkes«, erklärte Falibor. »Denn wir alle kennen dich als besonnenen Prinzen, als furchtlosen Krieger und götterfürchtigen Priester.«
Das war das Stichwort, auf das Tuglo gewartet hatte. Er schnellte von der Bank hoch. »All das mag Prinz Tugomir vor zehn Jahren gewesen sein. Aber was ist der Mann, der jetzt zu uns zurückgekehrt ist? Ein Fremder. Und ich bin sicher, die Schuhe sind nicht das einzig Sächsische an ihm. Sag uns, Prinz, wieso du noch nicht im Tempel des Jarovit warst, dessen Priester du bist und dem du so lange fern sein musstest?«
»Weil ich kein Bedürfnis verspüre, ihn aufzusuchen, Tuglo«, antwortete Tugomir. Dragomira wusste, ihrem Bruder blieb gar nichts anderes übrig, als freimütig zu sein, aber trotzdem spürte sie das Herz in der Kehle pochen, als er fortfuhr: »Der Christengott hat mich zu sich gerufen, und ich bin seinem Ruf gefolgt.«
Ein Zischen erhob sich in der Halle, das an der Frauentafel lauter war als bei den Männern.
Tuglo zeigte ein seliges Lächeln. »Ich denke, damit hat sich dein Anspruch erledigt, Prinz. Du kannst nicht der Fürst deines Volkes sein und gleichzeitig seine Götter verleugnen.«
»Wie käme ich
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