Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
dazu?«, entgegnete Tugomir. Er hob kurz beide Hände, Handrücken nach außen, sodass alle seine Tätowierungen sahen. »Hier kannst du ablesen, welchen Weg ich beschritten habe, Tuglo. Ihm folge ich immer noch, und dieser Weg hat mich zu einem neuen Gott geführt. Ist das so ungewöhnlich? Scheiden nicht Priester aus dem Tempel des Jarovit, um zu dir in den Triglav-Hain zu kommen? Gehen nicht andere gar bis nach Rügen, um dort Svantovit zu dienen, und wieder andere in die Wildnis, um dem Schöpfungswerk der Großen Götter zu huldigen? Ich habe einen neuen Gott gefunden – oder er mich, um genau zu sein –, aber das bedeutet nicht, dass ich die alten Götter meines Volkes deswegen geringer schätze oder gar verleugne.«
»Auch die Fürsten der Obodriten sind Christen«, warf Godemir ein.
»Und das soll mich trösten?«, höhnte Tuglo. »Solltest du vergessen haben, dass die Obodriten unsere Feinde sind?«
Der Hohepriester des Jarovit schüttelte langsam den Kopf. »Wie könnte ich, Tuglo. Sie haben meinen Vater und meinen Sohn getötet und zwei meiner Schwestern verschleppt. Aber womöglich könnten die Heveller und die Obodriten diese alte Fehde begraben, die sie seit Menschengedenken in immer neue Kriege gegeneinander führt, wenn unsere Fürsten eines Glaubens sind. Auf dass wir uns gemeinsam gegen die wehren, die unsere wahren Feinde sind.«
»Die Sachsen, meinst du?« Tuglo wies mit dem Finger auf Alveradis. »Mit einem Fürsten, der eine Sächsin zum Weib genommen hat?«
Alveradis verstand vermutlich kein Wort der hitzigen Debatte, aber sie merkte natürlich trotzdem, dass sie plötzlich der Mittelpunkt des allgemeinen Argwohns war. Reglos stand sie an Tugomirs Seite. Ihre Miene war ernst, zeigte indessen weder Furcht noch Trotz. Dragomira kam nicht umhin, ihre junge Schwägerin zu bewundern.
»Ja, meine Frau ist Sächsin«, räumte Tugomir ein, und sein Ton war keineswegs entschuldigend, sondern unmissverständlich scharf. »Schlimmer als das, sie ist Alveradis von Merseburg, Geros Tochter.«
Dieses Mal war es kein verhaltenes Zischen, sondern ein Aufschrei, der durch die Halle ging.
Dragomira sah zu Falibor. Selbst er war jetzt verunsichert und zweifelte, ob er auf den richtigen Mann setzte, und er tauschte verstohlene Blicke mit den anderen Kriegern. Dann erhob er sich von seinem Platz, und allmählich kehrte wieder Ruhe ein. »Die Daleminzer, die mit dir hergekommen sind, erzählen, es sei Gero gewesen, der ihre Mütter und Väter, Brüder und Schwestern abgeschlachtet hat.«
Tugomir nickte.
»Und sie erzählen auch, dass er dir um ein Haar die Kehle durchgeschnitten hätte, als du protestiert hast. Und dich in den Jahren danach bei jeder Gelegenheit drangsaliert hat und dafür bluten ließ, wenn du für die daleminzischen Waisen eingetreten bist. Ich habe das geglaubt, Prinz Tugomir, denn es passte zu dem jungen Priester, den ich einst kannte. Aber nun sagst du uns, dass du ausgerechnet die Tochter dieses Mannes zur Frau genommen hast. Was soll ich also jetzt noch glauben?«
»Er hat sie verstoßen, als sie sich mir zugewandt hat«, versuchte Tugomir zu erklären. »Meine Frau hat ihr Leben lang unter ihrem Vater zu leiden gehabt, und du kannst sie nicht für seine Verbrechen verantwortlich machen, Falibor. Sie trägt so wenig Schuld an seinen Taten wie meine Schwester und ich an denen unserer Mutter.« Er sprach ruhig, aber Dragomira sah, welch eine Qual dieses öffentliche Verhör für ihren Bruder war.
Falibor nickte unschlüssig.
Aber Tuglo griff den Faden dankbar auf. »Und dennoch«, beharrte er. »Wie hättest du ausgerechnet sie zum Weib nehmen können, wenn ihr Vater wirklich dein Feind wäre?«
»Er ist mein Feind, glaub mir«, brachte Tugomir hinter zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Beweise es!«, verlangte der Triglav-Priester.
Es war einen Moment still in der Halle. Dann trat Semela aus dem Schatten an der Tür, ging zu Tugomir und sagte: »Du musst es ihnen zeigen, Prinz. Lass sie sehen, was er getan hat.«
Tugomir sah ihn an, mit einem Mal so bleich, dass Dragomira fürchtete, ihr Bruder werde im nächsten Augenblick besinnungslos zu Boden gehen. Aber dann nickte er. Langsam nahm er Prinz Thankmars wundervolle Kette ab und gab sie Alveradis. Bei der Gelegenheit schmuggelte er ihr ein kleines Lächeln zu, das ziemlich kläglich ausfiel. Dann schnürte er die Kordel seines Obergewandes auf, zog den Ausschnitt mit beiden Händen auseinander und entblößte seine
Weitere Kostenlose Bücher