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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Brust. Das Licht in der Halle war dämmrig, aber jeder konnte die Narben der furchtbaren Brandwunden sehen. Sie waren breit, die Haut runzlig und weiß, und es wuchsen keine Brusthaare darauf. Dragomira musste für einen Moment die Augen schließen. Sie hatte irgendwann von Bruder Waldered erfahren, was in jener Nacht geschehen war, als Udo sie aus Magdeburg fortgeschafft hatte, aber sie hatte es bis heute nie gesehen.
    »Als euer Fürst Vaclavic mit den Redariern und den Obodriten gegen die Sachsen gezogen ist und die Festung in Walsleben genommen hat, hat Gero das hier getan«, berichtete Semela. »Ich war dabei und hab alles gesehen. Die Narben gehen noch weiter. Er hat …«
    »Semela«, unterbrach Tugomir flehentlich.
    Der Daleminzer nickte mit einem Seufzen. »Ich werde nie begreifen, was dich daran beschämt, aber wie du willst.« An die versammelten Heveller gewandt, fügte er hinzu: »Gero hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn auf diese Weise zu töten und euch die verkohlten Überreste zu schicken.« Er besaß genug politischen Instinkt, um zu verschweigen, dass es ausgerechnet ein sächsischer Königssohn gewesen war, der das verhindert hatte. »Als er Prinz Tugomir und seine schöne Alveradis zusammen erwischt hat, wurde es erst richtig schlimm. Fehlte nicht viel, und er hätte sie getötet, alle beide, auch seine eigene Tochter. Ich muss euch ja nicht erzählen, was für ein Ungeheuer er ist. Aber ihr könnt mir glauben, dass keiner das so gut aus eigener Anschauung weiß wie er.« Er zeigte unfein mit dem Finger auf Tugomir. »Er hat mehr Grund, ihn zu hassen, als jeder von euch. Und er ist der Einzige, der euch vor ihm retten kann. Er mag euch verändert vorkommen. Fremd. Aber ihr solltet trotzdem euer Glück mit ihm versuchen. Ihr könnt so weitermachen wie seit alters her und mit eurem jungen Fürsten in den Krieg ziehen und untergehen. Oder ihr begreift, dass die Welt sich verändert hat, und folgt Tugomir und seinen neuen Ideen, egal, wie sächsisch sie euch vorkommen. Letztlich läuft es nur auf eines hinaus: Vertrauen. Wir Daleminzer haben uns ihm anvertraut – es blieb uns ja auch nichts anderes übrig –, und ich sag euch, das ist der Grund, warum so viele von uns noch leben und jetzt in die Heimat zurückkehren konnten. Aber ihr seid keine Sklaven, sondern freie Männer, und tragt deshalb die Bürde eurer eigenen Entscheidung.« Er sah in die Runde und zuckte die Schultern. »Mögen die Götter euch Weisheit schenken.«
    Tugomir hatte sein Gewand längst wieder zugeschnürt – mit bebenden Fingern –, und während er aus Alveradis’ Händen seine Kette empfing, hielt die gespannte Stille an. Dann hob Godemir seinen Becher und klopfte langsam damit auf die Tischplatte – mit so viel Nachdruck, dass Dragomira um das tönerne Gefäß zu fürchten begann. Zu dem einsamen Trommeln gesellte sich ein zweites und fast sofort ein drittes, erstaunlicherweise von Nekras und seinem Zwillingsbruder Dragan, die Dragomirs Onkel mütterlicherseits waren und dem jungen Fürsten deshalb näherstanden als dem Herausforderer. Doch der Beifall nahm zu, erst stimmten Falibor und seine Söhne mit ein, dann seine Brüder, und so folgte einer nach dem anderen, bis schließlich alle Männer außer den Triglav-Priestern mit den Bechern trommelten, dass es ein wahres Getöse war.
    Tugomir wartete, bis die lautstarke Akklamation endete. Dann trat er vor den Fürstenthron und sah einen Augenblick darauf hinab. Er schien völlig versunken, aber als Dragomir einen entschlossenen Schritt näher trat – fast als wolle er sich an ihm vorbeidrängen, um den Platz zu besetzen, den er so lange unangefochten innegehabt hatte –, streckte Tugomir die Hand aus und legte sie auf den Arm seines Neffen.
    Dragomir riss sich los und fuhr zu den Priestern herum, die rechts des Throns aufgereiht saßen. »Das kann nicht euer Ernst sein!«, rief er, ebenso entrüstet wie verletzt. »Er taucht hier nach zehn Jahren plötzlich wieder auf mit seinem sächsischen Gott und seinen sächsischen Schuhen, und ihr gebt ihm einfach, was mir gehört? Warum? «
    »Weil er der Bruder deines Vaters ist, Dragomir«, erwiderte Godemir beschwichtigend. »Es ist kein Urteil über dich oder die Entscheidungen, die du getroffen hast, aber …«
    »Das ist es sehr wohl«, fiel Tuglo ihm ins Wort. »Dir hat es nie gefallen, wie nahe der Fürst dem großen Triglav stand, Godemir.«
    »Oh, da haben wir’s«, brummte Dragomira ungehalten.

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