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Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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gegeben hatte.
    Dragomira sah genau, was passieren würde, aber sie war zu weit entfernt, um irgendetwas zu tun. Es war wie in einem Albtraum, wenn man einen gefräßigen Unhold näher schleichen hört und sich plötzlich nicht mehr rühren kann. »Semela, gib acht!«, rief sie.
    Semela fing gerade erst an, den Kopf zu wenden, als Dragomir ihn von der Seite anfiel, aber Tugomir war zur Stelle. Er beförderte Alveradis mit einem Stoß aus der Gefahrenzone und warf sich zwischen Semela und die niederfahrende Klinge. Sie erwischte ihn irgendwo an der rechten Schulter.
    Unter Ausrufen des Schreckens waren die Männer von der Tafel aufgesprungen, doch ehe irgendwer die Kontrahenten erreicht hatte, waren sie zu Boden gegangen. Tugomirs Linke umklammerte Dragomirs Hand mit der mörderischen Klinge und versuchte, den Arm von ihren Körpern abzuwinkeln, aber sein Neffe bäumte sich unter ihm auf und warf sich herum, sodass sie ineinander verkeilt durch den Sand rollten, zweimal, dreimal, bis sie etwa in der Mitte der Halle still liegen blieben, Dragomir obenauf.
    Für ein paar Herzschläge schienen alle wie erstarrt, und die Stille in der Halle hatte etwas Unheilvolles. Dann setzten Dragomira, Widukind, Semela und Alveradis sich gleichzeitig in Bewegung und rannten zu den beiden reglosen Gestalten im Sand.
    Semela packte Dragomir rüde beim Arm und schleuderte ihn herum. Die Hand des jungen Hevellerprinzen war immer noch um den geriffelten Beingriff seines Messers gekrallt, dessen Klinge in seiner Brust steckte. Die dunklen Augen starrten blicklos zur hohen Decke empor.
    Tugomir stemmte sich in eine sitzende Position und kam dann auf die Füße. Er blutete an der Schulter und schlimmer noch an der linken Hand – anscheinend hatte er einen Messerstich damit abzuwehren versucht. In einem stetigen Rinnsal tropfte das Blut von seinen Fingern in den hellen Sand, aber er schien nichts davon zu bemerken. Er stand da wie versteinert und schaute auf seinen toten Neffen hinab.
    Nach einer Weile hörte Dragomira ein Räuspern von der oberen Tafel, und als sie den Kopf wandte, sah sie, dass ihr Onkel Slawomir sich erhoben hatte. Trauer stand in seinen Augen, doch was er sagte, war: »Sehet das Zeichen der Götter. Dragomir wollte Verrat üben, und die Götter haben ihn gerichtet.«
    Hier und da wurde zustimmend gemurmelt, aber die Mehrzahl der Versammelten blieb stumm. Nur Dragomirs blutjunge Witwe stieß einen langen, durchdringenden Schrei des Wehklagens aus, sprang auf die Füße und sackte dann ohnmächtig zu Boden.
    Tugomir sank langsam neben seinem toten Neffen auf die Knie, zog den leblosen Oberkörper in seine Arme und legte die unverletzte Hand auf die glasigen Augen, um die Lider zu schließen. Dann senkte er den Kopf, sodass die Haare sein Gesicht verdeckten. Er gab keinen Laut von sich, aber Dragomira wusste, dass ihr Bruder den Tod ihres Neffen beweinte.

Chèvremont, Juli 939
    »Herr gott , ich kann es einfach nicht fassen, dass ich schon wieder eingeschlossen in einer verfluchten Burg sitze wie ein Fuchs in der Grube!«, grollte Henning.
    »Welch passender Vergleich«, raunte seine Schwester Gerberga der Stickerei in ihrem Schoß zu.
    Das trug ihr ein Stirnrunzeln ihres Gemahls ein. »Ich schlage vor, wir alle mäßigen uns«, sagte Giselbert. Es klang gereizt. »Und es schadet auch nicht, in Anwesenheit von Damen auf unsere Sprache zu achten, Schwager.«
    Henning wandte ihm abrupt den Rücken zu, gab vor, auf die Wandmalereien zu starren, kniff aber in Wahrheit die Augen zu. Wie er diesen aufgeblasenen Gecken verabscheute . Wäre Gerberga nicht so ein selbstgerechtes Miststück, hätte man sie ob ihres Gemahls fast bedauern können. Giselbert war eingebildet, eitel und besessen von seiner herzoglichen Würde. Er hatte Otto den Rücken gekehrt und sich dem westfränkischen König Ludwig zugewandt, weil er glaubte, dass er Ludwig leichter handhaben und ihm mehr Unabhängigkeit für Lothringen abtrotzen konnte. Was Giselbert wirklich wollte, war eine Krone, argwöhnte Henning. Aber daraus konnte er seinem Schwager schwerlich einen Vorwurf machen, wollte er doch selbst auch eine. Ottos Krone. Oder genauer gesagt, die ihres Vaters, die ihm – Henning – von rechts wegen zustand. Weil er im Purpur geboren war, verdammt noch mal.
    »Steig von deinem hohen Ross, Schwester«, riet er Gerberga. »Du steckst mit in dieser Sache, und zwar bis zum Scheitel. Glaub lieber nicht, dass Otto deinen Beteuerungen Glauben schenkt, wenn

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