Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
du ihm in die Hände fällst. Du bist die Herzogin von Lothringen, und Lothringen hat sich gegen ihn erhoben.«
»Es ist das Los der Frauen, für die Torheiten ihrer Männer büßen zu müssen«, gab sie mit einem Achselzucken zurück.
Giselbert fuhr auf dem Absatz seines eleganten Schuhs zu ihr herum, umklammerte ihren Oberarm, riss sie halb von ihrem Schemel hoch und ohrfeigte sie. »Ich habe allmählich genug von deinen Respektlosigkeiten, werte Gemahlin!«
Judith war zusammengezuckt. Dabei war es weiß Gott nicht das erste Mal, dass Giselbert handgreiflich gegen Gerberga wurde, die sich indes meistens wenig eingeschüchtert zeigte. So auch jetzt: Sie befreite ihren Arm bestimmt, aber höflich aus Giselberts Klammergriff und setzte sich wieder. »Es ist nicht Respektlosigkeit, die aus mir spricht, mein Lieber.« Es klang trügerisch sanft. »Es ist Geringschätzung.«
Giselbert knurrte wie ein wütender Bär und hob wieder die Hand, doch als er Gerberga dieses Mal packen wollte, erwischte er ihre Hand mit der Sticknadel. Henning war unschlüssig, ob es Zufall oder Gerbergas Werk war. Jedenfalls drang die Nadelspitze tief in Giselberts Handfläche, und er zuckte mit einem halb unterdrückten Jaulen zurück.
Judith verbarg ihre Belustigung hinter einem Hüsteln. »Wer sprach hier eben von Mäßigung?«
Es wirkte. Giselbert nahm sich zusammen, trat ans Fenster und strafte seine Frau mit Missachtung. Henning nahm an, Gerberga war das nur recht.
»Gott steh uns bei«, murmelte der Herzog von Lothringen und wies durch die schmale Öffnung auf das weite Tal unterhalb der Burg, die unweit von Lüttich am Ufer der Maas gelegen war. »Es werden von Tag zu Tag mehr. Wie macht er das? Wie füttert er sie alle?«
»Wie schon?«, gab Henning zurück. »Mit der Ernte deiner Bauern. Die brauchen sie nicht mehr, denn sie sind ja alle abgeschlachtet.«
Er sagte es mit Desinteresse, was in gewisser Weise auch der Wahrheit entsprach. Das Schicksal der lothringischen Bauern war ihm noch gleichgültiger als das der sächsischen – falls das möglich war –, doch Henning musste gestehen, es hatte ihn erschüttert, wie Otto in Lothringen gewütet hatte. Das war natürlich üblich: Jeder Lehnsherr fiel in die Ländereien eines abtrünnigen Vasallen ein, um ihn zu bestrafen. Und es war auch sinnvoll . Denn wenn man die Ernte raubte, die Felder verbrannte und die Bauern niedermetzelte, dauerte es ziemlich lange, bis der Abtrünnige sich von dem wirtschaftlichen Schaden erholte und auf Rache sinnen konnte. Trotzdem. Henning hätte irgendwie nicht gedacht, dass Otto imstande war, so grausam zu wüten. Die Lothringer bekreuzigten sich und senkten die Stimmen, wenn sie von den Bluttaten der Panzerreiter berichteten. Das hatte er seinem Bruder einfach nicht zugetraut. Es machte ihn nervös, dass er Otto in dieser Hinsicht unterschätzt hatte. Und das Schlimmste an der Sache war, dass die Lothringer ihm und Giselbert die Schuld gaben. Das hatte Wiprecht erzählt, der tagelang durchs Land geritten war und Nachrichten gesammelt hatte und erst knapp vor Beginn der Belagerung zurückgekehrt war: Ihr Herzog und der junge Prinz seien für ihr Elend verantwortlich, jammerten die Bauern, denn sie hatten den rechtmäßigen, von Gott erwählten König verraten. Wenn Henning die Krone bekam, würden sie ihn also hassen, statt ihn als denjenigen zu feiern, der sie von Ottos Tyrannei erlöst hatte. Das war so himmelschreiend ungerecht , dass er nicht daran denken konnte, ohne irgendwem die Knochen brechen zu wollen.
»Wir können auf keinen Fall unbemerkt durch diesen Belagerungsring schlüpfen«, bekundete Giselbert kategorisch, so als hätte jemand das Gegenteil behauptet. »Das wäre Selbstmord. Aber lange ausharren können wir auch nicht mehr. Es wird Zeit, dass Eberhard von Franken uns endlich zu Hilfe kommt!«
»Eberhard wird kommen«, versicherte Henning. Er sagte es nicht zum ersten Mal, und er glaubte fest daran. Er hatte gar keine andere Wahl, denn ohne Eberhard von Franken war ihr Wagnis zum Scheitern verurteilt. Eberhard und Henning hatten ein Abkommen getroffen und einen Eid getauscht, als der mächtige und stolze Frankenherzog sich seinem Gefangenen letzten Sommer zu Füßen warf. Henning hatte es nicht vergessen, und er war sicher, Eberhard auch nicht.
»Aber er wird nicht kommen, um diese Belagerung aufzuheben«, widersprach Judith. »Das kann er nicht, und das Risiko ist einfach zu hoch. Er wird dann kommen, wenn er sicher
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