Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
recht, sie liegt mir am Herzen. Die Menschen, die hier leben, sind uns anvertraut, verstehst du das nicht? Und wir wollen uns nicht vormachen, wir hätten in der Vergangenheit immer unser Bestes für sie gegeben, nicht wahr?«
»Nun, auf jeden Fall hat der König ihnen vorletztes Jahr die Ungarn vom Hals geschafft. Die werden sich hier so bald nicht wieder blicken lassen.«
»Oh Gott, die Ungarn …« murmelte Otto und schaute unwillkürlich an der begonnenen Wallanlage hoch. Er konnte nur beten, dass sie den Ungarn standhalten würde, denn anders als Hermann glaubte er nicht, dass dieser Fluch für immer gebannt war.
Gewiss, der König hatte die Ungarn vor zwei Jahren bei Riade vernichtend geschlagen. Das größte Wunder von allen war vielleicht gewesen, dass es Heinrich überhaupt gelungen war, sie zur offenen Schlacht zu zwingen, und dort hatten seine Panzerreiter ihnen den Garaus gemacht. Die tödliche Waffe der Ungarn, ihre unvergleichlichen Bögen, die sie im vollen Galopp vom Rücken ihrer wendigen Pferde abschossen, konnte den Panzerreitern nicht viel anhaben. Und so waren es dann ausnahmsweise einmal die Ungarn gewesen, die scharenweise den Tod fanden. Otto und Hermann waren dabei gewesen, hatten Seite an Seite mit Thankmar und Hermanns Bruder Wichmann, Gero und Siegfried und nahezu dem gesamten sächsischen Adel gekämpft und waren Zeuge geworden, wie die feindlichen Reiterverbände ins Stocken gerieten, auseinandergetrieben und niedergemacht wurden und sich schließlich in Panik auflösten.
Der König hatte seine kostbarste Reliquie, die Heilige Lanze, die er mit ins Feld geführt hatte, gen Himmel gereckt und den letzten versprengten Ungarn hinterhergebrüllt: »Tragt die Kunde von eurer Niederlage in die ferne Heimat und kehrt nie zurück!«
Groß, wahrhaft königlich und schrecklich war er Otto in diesem Moment seines Triumphs erschienen, und zusammen mit den siegreichen Panzerreitern hatte der Prinz seinen Vater bejubelt.
Doch der Sieg bei Riade hatte ihn nicht vergessen lassen, was vorher geschehen war: Wie todbringende Heuschrecken waren die Ungarn im Land ausgeschwärmt, hatten geraubt, gebrandschatzt und geschändet. Otto hatte die Überreste der Dörfer gesehen, die sie heimgesucht hatten: rauchende Trümmer, verstümmelte Leichen, verzweifelte Menschen, die vor dem Nichts standen. Und er hatte die stummen Fragen in ihren Augen gelesen: Wo wart ihr? Und was sollen wir jetzt machen? Was wird aus uns? Vor allem die Kinderaugen verfolgten ihn bis in seine Träume. Stumpf waren sie gewesen, wie tot. Er hatte sich geschämt, als er heimgekehrt war und die strahlenden Augen seiner beiden Söhne und der kleinen Liudgard gesehen hatte. Kein Mensch blieb von Leid verschont, wusste er, auch kein Prinz und keine Prinzessin. Gott würde auch seine Kinder prüfen. Und trotzdem. Es blieb das abscheuliche Gefühl, dass der König und sie alle sich nicht genug Mühe gegeben hatten, um ihr Volk besser zu beschützen.
»Sollte die Stadtbefestigung sich als überflüssig erweisen, umso besser«, sagte er schließlich. »Aber das wird sie nicht, glaub mir. Wenn es nicht die Ungarn sind, dann eben die Slawen. Es mangelt uns nun wirklich nicht an Feinden.«
»Nein, das ist wahr«, räumte Hermann ein und strich sich zufrieden den Zottelbart, denn er wusste eine gute Schlacht zu schätzen. »Aber die Slawen haben sich schon lange nicht mehr über die Elbe getraut. Man könnte meinen, sie sind alle so zahm geworden wie der Onkel deines Sohnes.«
»Tugomir? Zahm? « Otto musste lächeln. »Wenn du das wirklich glaubst, muss ich annehmen, dass deine Kräfte nicht das Einzige sind, was du mit einem Ochsen gemein hast, Hermann.«
»Wieso? Hat er je versucht zu fliehen oder dir oder einem deiner Brüder die Kehle durchzuschneiden? Irgendetwas zu tun, was du und ich täten, wenn wir bei ihnen gefangen gehalten würden?«
»Er kann nicht fliehen und er kann mir nicht die Kehle durchschneiden, weil er weiß, dass die Daleminzer dafür büßen müssten.«
»Das Leben von ein paar Sklaven würde mich bestimmt nicht abhalten«, wandte sein Freund abschätzig ein.
»Sklaven in deinen und meinen Augen«, gab Otto zu bedenken. »Schutzbefohlene in den seinen. Sie schauen zu ihm auf, weil er ein Fürst ihres Volkes ist. Und er besitzt Anstand – obwohl er nur ein Heide ist – und fühlt sich verantwortlich für ihr Wohlergehen.«
»So wie du dich verantwortlich fühlst für die Menschen hier in Magdeburg und überall
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