Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)
stieß den Laden auf. Die Luft, die hereinströmte, war feucht und kalt, aber er wollte, dass der Rauch des Kohlebeckens abzog.
Als Judith mit einer Schüssel auf der Hüfte und Tüchern über dem Arm zurückkehrte, schloss er den Laden wieder.
»Versucht, Ihr von dem kalten Wasser einzuflößen, Gräfin. So viel wie möglich«, trug er ihr auf.
Die Mutter stützte den Kopf des Mädchen mit der Hand und setzte einen Holzbecher an die bleichen Lippen. Aber die Kranke war kaum bei Bewusstsein und öffnete die Lippen nicht. Mit einem unverständlichen Murmeln drehte sie den Kopf weg. Tugomir trat hinzu und benetzte ihr die Lippen mit einem nassen Tuch, bis sie mit der Zunge darüberfuhr. Dann versuchte er sein Glück mit dem Becher. Auf einmal trank sie gierig.
»Sie braucht Wadenwickel«, sagte er.
Judith schlug das Laken am Fußende zurück und tauchte ein weiteres Tuch in die Schüssel. Tugomir vergewisserte sich, dass sie es nicht zu stark auswrang, denn die Wickel mussten nass sein, nicht nur feucht.
»Habt Ihr an ihrem Leib Ausschlag oder Rötungen gefunden?«, fragte er.
Die Mutter schüttelte den Kopf. »Das war das Erste, wonach ich geschaut habe.«
»Auch in den Kniekehlen, den Leisten und den Innenseiten der Ellbogen?«
Sie fand es offenbar anstößig, dass er so schamlos nach solch intimen Körperregionen ihrer Tochter fragte, aber sie nickte tapfer. »Nichts. Ich habe noch einmal nachgesehen, kurz bevor Ihr kamt.«
»Wie alt ist Eure Tochter?«
»Zwölf.«
»Und wie heißt sie?«
»Wozu wollt Ihr das wissen?«, fragte sie streng.
»Denkt Ihr nicht, es wäre ein Mindestmaß an Höflichkeit, mir ihren Namen zu nennen?«
Die Gräfin wirkte einen Moment verwirrt. Vielleicht hatte sie bis heute nicht geahnt, dass auch Slawen so etwas wie Höflichkeit kannten. Oder vielleicht war sie sich nicht schlüssig darüber, wie sie diesen Mann behandeln sollte, der doch nur ein Gefangener war – ein Heide obendrein –, aber vielleicht das Leben ihrer Tochter in der Hand hielt. »Ihr Name ist Alveradis«, antwortete sie steif.
»Wann und wie hat es angefangen?«, fragte er betont geschäftsmäßig weiter.
»Heute Nachmittag«, antwortete die Mutter. »Sie sollte uns zum Essen in die Halle begleiten, denn ihr Vater wollte sie Prinz Henning vorstellen, aber als es Zeit fürs Nachtmahl war, klagte sie über Schwindel und Kopfschmerzen, und sie bekam Schüttelfrost.«
Tugomir kam die Frage in den Sinn, ob die hinreißende Alveradis sich vielleicht absichtlich mit irgendetwas vergiftet hatte, um Hennings Charme zu entrinnen. Man hätte ihr kaum einen Vorwurf machen können, fand er. Aber so etwas taten anständige sächsische Mädchen vermutlich nicht. »Hat sie etwas Ähnliches schon einmal gehabt?«
Die Gräfin nickte. »Vor drei Tagen.«
Er horchte auf. »Und war es genau gleich?«
»Ganz ähnlich, ja. Aber vorgestern schien der Spuk vorbei zu sein, also dachte ich, wir könnten sie bedenkenlos mit herbringen.«
Tugomir fühlte noch einmal die fiebrige Stirn. Immer noch trocken. »Hat sie geschwitzt, bevor das Fieber zurückging?«
»Woher wisst Ihr das?« Es klang argwöhnisch.
»Das heißt ja?«
Die Gräfin nickte. »Sie schien noch heißer zu werden. Aber dann hat sie ausgeschwitzt, was immer es war. Nach ein paar Stunden war alles vorüber. Doch es war nicht so schlimm wie heute. Wenn Ihr wisst, woran meine Tochter leidet, dann sagt es mir, Prinz Tugomir.«
Ehe er entschieden hatte, ob jetzt der richtige Zeitpunkt war, wurde die Tür geöffnet und Semela trat ein, einen Gurt der Weidenkiepe lässig über eine Schulter geschlungen und die Kappe in einem verwegenen Winkel auf dem Kopf. »Hier kommt der Feuerkorb, mein Prinz.«
Tugomir schüttelte ungeduldig den Kopf. »Das wurde auch Zeit, du Taugenichts. Her damit«, schalt er in ihrer Muttersprache.
Der junge Mann nahm seine Last von der Schulter, stellte sie zu Tugomirs Füßen ins Bodenstroh, verbeugte sich ebenso höflich wie charmant vor der Gräfin und richtete seine volle Aufmerksamkeit dann auf die Kranke. »Soll ich Wasser kochen? Ich nehme an, wir brauen einen Sud?«
Tugomir nickte. »Die Kunst wird sein, ihn in sie hineinzubekommen.« Er holte verschiedene Beutel mit getrockneten Blättern, Blüten oder Samen aus seinem Korb, reichte sie seinem Gehilfen und nannte ihre Namen, damit Semelas Wissen sich verfestigte – so wie Dobromir es mit ihm selbst auch getan hatte. »Holunder, Nachtbeere, Buche, Bilsenkraut
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