Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Haupt der Welt: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
Vom Netzwerk:
Leinenstoff ihres Hemdes unter seinem Arm feucht. »Trinkt. Bald ist es vorüber, Ihr habt mein Wort.«
    Sie sah ihn einen Moment an, doch ihr Blick blieb unscharf. Dann senkten sich die Lider mit den langen, dichten Wimpern, und sie trank.
    Es dauerte über eine Stunde, bis der Becher endlich geleert war. Judith war inzwischen auf ihrem Schemel eingeschlafen, ihr Kopf gegen den Wandbehang gesunken. Tugomir hielt das kranke Mädchen im Arm und versuchte, nicht daran zu denken, dass es Geros Tochter war.
    Als er angefangen hatte, die Sachsen zu behandeln, hatte er es auf Distanz getan und sie niemals berührt. Er hatte sie aus sicherer Entfernung angeschaut, seine Diagnose gestellt und ihnen einen Trank oder eine Salbe gemischt, aber er überließ es den Müttern oder Frauen oder Töchtern, sie zu verabreichen. Es war ihm einfach unerträglich gewesen, sie anzufassen, auch ihre Frauen und Kinder und Alten, die keine Klingen gegen die Heveller und die Daleminzer geführt hatten. So als würde er durch die Berührung unrein, besudelt mit etwas, das sich nie wieder abwaschen ließ.
    Aber es hatte sich einfach als unmöglich erwiesen. Die Hände gehörten zu den wichtigsten Instrumenten eines Heilers; das, was sie erfühlten und ertasteten, verriet mindestens so viel über die Krankheit wie das, was die Augen sahen. Mein Gott oder deine Götter haben alle Menschen gleich geschaffen, Tugomir , hatte Bruder Waldered bei einer ihrer hitzigen Debatten zu ihm gesagt. Dass mein und dein Volk Feinde sind, ist allein unser Werk, aber es ändert nichts daran, dass wir alle Kinder Gottes sind .
    Tugomir hatte erkannt, dass Waldered recht hatte, als er zum ersten Mal seinen winzigen Neffen Wilhelm im Arm gehalten hatte und sich von eigentümlichen und beängstigend heftigen Gefühlen überwältigt fand. Er wollte dieses Kind behüten und vor der reißenden Bestie beschützen, die die Welt war, obwohl es Ottos Sohn und zur Hälfte Sachse war.
    Inzwischen erschien es ihm völlig ohne Belang, wo die Menschen, die seine Hilfe suchten, geboren waren oder welche ihre Muttersprache war. Auf diesem Schlachtfeld waren Gebrechen und Krankheiten die Feinde, die es zu besiegen galt, nicht Menschen. Sollte sein Schicksal sich je wenden und er sich mit einem Schwert in der Hand wiederfinden, würden die Dinge anders aussehen, das wusste er. Aber damit wollte er sich befassen, wenn es so weit war. Es waren schließlich die Sachsen, nicht die Slawen, die ständig nur an die Zukunft dachten und dabei vergaßen zu leben, die horteten und rafften, weil sie irgendwie immer fürchteten, übernächstes Jahr vielleicht zu verhungern. Sein Volk war klüger und wusste, dass es wenig Sinn hatte, sich um eine Zukunft zu sorgen, die vielleicht niemals stattfinden würde. Besser, man nahm das an, was die Götter einem zugedachten, denn man konnte nie wissen, ob man je etwas anderes bekam. Und so hatte Tugomir gelernt, sich ganz seiner Heilkunst und der Erziehung seines Neffen zu widmen, denn es waren gute Dinge. Trotzdem. Geros Tochter . Es war geradezu obszön …
    Er bettete sie zurück in die Kissen, tauchte eines der Leintücher in die Schale und kühlte ihr Stirn, Wangen und Hals. Wie ihre Mutter es beschrieben hatte, schien das Fieber auch heute mit dem Schweißausbruch noch einmal anzusteigen. Tugomir wusste, der Feuergeist zeigte nur noch einmal die Zähne, ehe er den Rückzug antreten musste, aber beängstigend war es trotzdem. Die Wangen des Mädchens glühten jetzt, ihr Haar klebte feucht an Stirn und Wangen. Sie keuchte, und manchmal murmelte sie ein paar Worte, doch »Sira« war das einzige, was er verstehen konnte.
    Tugomir schob behutsam das Laken herab, um ihre Arme mit dem kühlen Tuch abzureiben, und sah bei der Gelegenheit, das Judith ihr den Bernstein zwar umgehängt hatte, aber über dem Hemd. Er fluchte leise, nahm den Stein einen Moment in die linke Faust und spürte seine Kraft. Dann hob er den Ausschnitt des Leinenhemdes an und ließ den ungeschliffenen Bernstein daruntergleiten.
    Die Hand des Mädchens tastete fahrig nach der eigenen Brust und verharrte über dem ungewohnten Gegenstand.
    Kurz vor Morgengrauen begann das Fieber endlich zu fallen. Alveradis wurde ruhiger, die fiebrige Röte verließ ihr Gesicht, und ihr Puls verlangsamte sich. Tugomir beobachtete sie eine Weile, dann stand er auf, um ihr einen Becher Wasser zu holen.
    Als er sich wieder über sie beugte, waren die Augen geöffnet, und nun erkannte er, dass sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher