Das Haus in Georgetown
wirkte, als passe er in ein einziges Hosenbein. Er hatte eine blondierte Igelfrisur, trug eine Brille mit schwarzem Rand und wirkte außer sich vor Freude, sie begrüßen zu dürfen.
„Wir, äh, haben dieses Kleid im Schaufenster gesehen. Ich dachte, ich probier es mal an.“
Der Mann legte einen Finger an seine vollen Lippen und begutachtetesie. „Oh Süße, Sie sind’s, ja, genau Sie. Ihr wahres Selbst! Was für einen Lumpen tragen Sie da?“ Er schüttelte den Kopf. „Kauft Ihre Mutter für Sie ein, armes Ding?“
Faith prustete los. Sie hätte gekränkt sein sollen, weil dieser Mensch kein Blatt vor den Mund nahm, aber sie musste einfach nur lachen. „Vielleicht sollte ich Ihnen diese Aufgabe übertragen.“
„Oh Gott, Sie retten meinen Tag!“ Dann sauste er geschäftig zwischen den Kleiderständern hin und her und suchte allerlei Sachen zusammen. Faith war froh, dass sich sonst niemand im Laden aufhielt; sonst wäre ihr das peinlich gewesen.
Remy betrachtete das Geschehen mit weit offenem Mund. Jemand wie dieser Verkäufer, der seine Homosexualität sicher seit Jahren stolz vor sich her trug, war ihr in ihrem behüteten Leben noch nicht begegnet. Als sein Blick auf sie fiel, drückte er ihr einen Stapel Kleidungsstücke in die Arme. „Hier, Herzchen, mach dich nützlich.“
Faith sah den Stapel auf Remys Armen wachsen. Ein regenbogenfarbener Seidenschal, ein weiteres Kleid in strahlendem Türkis. Ein drittes war fleischfarben und bestand aus abwechselnd blickdichten und transparenten Streifen. Das würde sicher nicht in die engere Wahl kommen.
„Und jetzt los, husch-husch“, ordnete er an und wies auf eine Umkleide mit handbemaltem Vorhang. „Schätzchen, du gehst mit und passt auf, dass sie wirklich alles anprobiert. Jedes einzelne Stück, und ich heiße Ralph. Fragt nach mir.“
Remy fand ihre Stimme wieder. „Sie sind doch der Einzige im ganzen Laden.“ Sie verschwand in Richtung der Kabine, als hätte ein Wirbelwind sie erfasst.
„Buh“, machte Ralph und schaute Faith an.
„Bitte. Sie machen mir keine Angst – die Preise schon.“
„Ja, wir sind Kredithaie. Probieren Sie die Sachen trotzdem an – für Onkel Ralphie.“
Eine Stunde später spielte Faith noch immer das Model für Ralph, der an Ärmeln zupfte, Reißverschlüsse gerade rückte und die obersten beiden Knöpfe von allem öffnete, was überhaupt Knöpfe hatte.
„Was meinst du, Remy?“ fragte er schließlich. Inzwischen waren die beiden alte Freunde, vereint in dem Wunsch, Faith ein neues Image zu verpassen.
„Das orangefarbene. Eindeutig das orangefarbene.“
„Faith?“
„Gut, das orangefarbene.“
Er legte einen Finger an die Lippen, offenbar seine liebste Pose.
„Jetzt zur Frisur, Darling. Du bekommst das Kleid nur, wenn du was mit deinem Haar machst. Es verdirbt alles, wie eine Ziege in der Suppe.“
„Fliege.“
Er sah an sich herunter und tat so, als schließe er seinen Hosenstall. Dann blickte er auf und zwinkerte. „Erwischt!“
Faith musste grinsen. „Tja, um fünf habe ich einen Termin zum Nachschneiden. Ich weiß, dass es etwas zu lang ist. Ich ...“
„Wo?“
„Bei einem Friseur in der Nähe des Capitol, zu dem meine Mutter immer geht. Ich ...“
Er legte sich die Hände um den Hals und röchelte.
„Keine gute Idee?“ fragte sie.
„Ich rufe Mitch an. Ich werde ihm sagen, dass er dich heute Nachmittag dazwischenschieben soll, weil ich dir sonst mein Kleid vom Leib reißen muss. Kapiert? Du bekommst es nicht. Du kannst unmöglich ...“ Er wählte bereits eifrig eine Nummer.
Remy machte schon wieder große Augen. Faith hatte den Eindruck, dass Ralph die permanente Verwirrung, in die er seine Zuschauer stürzte, genoss.
Ralph redete auf irgendjemanden ein und sprach dann lauter – offenbar mit dem großen Mitch persönlich. Es ging ordentlich zur Sache; er bezweifelte, dass Mitch tatsächlich der Sohn seiner Eltern war. Schließlich legte Ralph auf. „Jemand hat kurzfristig abgesagt. Er nimmt euch beide gleich dran. Remy, auch du musst tapfer sein. Geh deiner Mutter mit gutem Beispiel voran – sonst wirst du womöglich noch wie sie.“
Remy legte sich die Hände um die Gurgel, wie er es getan hatte. Er nickte weise.
Faith war ein wenig besorgt. Wenn Mitch Ralph das Haar geschnitten hatte, war sie in Gefahr. „Dieser Mitch, ist er gut? Ich will nicht wie ein gerupftes Huhn aussehen.“
„Kauf das Kleid, lass dir das Haar schneiden, sei ein ganzer Kerl.“ Er salutierte.
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