Das Herz Des Daemons
Julien schien geradezu erleichtert, dass ich mich ohne Diskussion in mein Schicksal fügte, als er neben mich glitt, den Motor mit dem üblichen Schnurrgrollen zum Leben erweckte und zurücksetzte. Doch als er ausstieg, um den Schuppen wieder zu schließen, hielt er inne und beugte sich kurz ein Stück zu mir herüber.
»Vielleicht solltest du Fürst Vlad heute Mittag nach Geld für ein eigenes Auto fragen?«, schlug er vor. Ich starrte ihm nach.
»Meinst du wirklich?«, vergewisserte ich mich, nachdem er wieder da war.
Er grinste und nickte. »Im Schuppen ist Platz für einen zweiten Wagen und wir müssten nicht mehr die Vette nehmen, um zur Schule zu fahren.«
Aha! Da lag der Hase im Pfeffer. Die kostbare Corvette Sting Ray, der schreckliche Schulparkplatz mit seinen unzähligen Fahranfängern und Juliens Angst, dass einer davon einen Kratzer in den schwarzen Lack machen konnte.
»In Ordnung. Ich frag ihn«, erklärte ich leichthin, beachtete Juliens misstrauisch zusammengezogene Brauen nicht und lehnte mich im Sitz zurück. Wenn die Vette mir ein eigenes neues Auto einbrachte, sollte mir das mehr als recht sein.
»Und was ist mit dir?«
»Mit mir?« Er bog vom Zufahrtsweg des HaleAnwesens auf die Straße ein.
»Willst du dir nicht auch eine neue Fireblade anschaffen?« Seine Hände schlossen sich einen Sekundenbruchteil fester um das Lenkrad. »Es ist ziemlich bekannt, dass Julien DuCranier eine getunte Rennmaschine fährt, während Adrien DuCranier eine Corvette Sting Ray bevorzugt. Selbst wenn ich die Maschine nur in den Schuppen stellen würde, um daran zu basteln ...«
... wäre das Risiko viel zu groß, dass sie irgendjemand zu Gesicht bekäme, der diese Tatsache kannte und obendrein wusste, dass Julien nach Dubai verbannt war und offiziell sein Zwillingsbruder Adrien bei mir wohnte ... Er musste den Satz nicht beenden. Ich verstand auch so. Zu allem Überfluss hatte ich, ohne es zu wollen, wieder den Finger auf die Wunde gelegt, die Julien am meisten zu schaffen machte: die quälende Ungewissheit, was sich tatsächlich hinter Adriens Verschwinden verbarg.
»Es tut mir leid«, murmelte ich und biss mir auf die Lippe.
Juliens Blick zuckte ganz kurz von der Straße zu mir, dann griff er zu mir herüber, nahm meine Hand in seine und drückte sie. Es war ein wortloses: Das muss es nicht. Ich weiß, dass du mir nicht wehtun wolltest. Es ist in Ordnung. Vergiss es. Ich sah ihn mit einem traurigen Lächeln an, worauf er erneut meine Hand drückte, ehe er seine ans Lenkrad zurücknahm und sich wieder auf den Verkehr konzentrierte. Mehr brauchte es gewöhnlich nicht zwischen uns: ein Blick, eine Berührung, eine Geste, ein Lächeln - und wir verstanden einander. Vielleicht hätte ich es beängstigend finden sollen, dass wir uns binnen so kurzer Zeit so vertraut Waren. Aber es war für mich einfach nur wunderschön. - Was nichts daran änderte, dass mich mal wieder ein schlechtes Gewissen plagte, weil ich ohne nachzudenken geplappert hatte.
In der Schule empfing Susan uns mit dem neusten Klatsch, den Ron mit einer Meldung aus dem Radio noch zu toppen wusste: In der vergangenen Nacht hatte der Nachtwächter in der Pathologie eines Krankenhauses etwa dreißig Meilen von hier eine Begegnung gehabt, die aus dem Film Nightwatch hätte stammen können. Eine der Leichen hatte sich während seines Rundgangs urplötzlich unter ihrem Laken aufgerichtet. Ich verschluckte mich vor Schreck fast an dem Stück selbst gemachten Müsliriegel, von dem Beth mich zwecks »Probier mal!« hatte abbeißen lassen, und bedachte die Leiche, an deren Identität es für mich absolut keinen Zweifel gab und die eine knappe Armlänge neben mir stand, mit einem fassungslosen Blick. Juliens Unschuldsmiene machte es nicht wirklich besser, genauso wenig wie sein gerauntes »Ich hatte keine andere Wahl. Es war eine Sackgasse und der Kerl hat sich ausgerechnet diese Nacht für ein Schäferstündchen mit seiner Freundin in der Autopsie ausgesucht. Außerdem wollte ich schnellstens zurück zu dir und nicht Zeuge vorehelicher Vergnügungen werden!«.
Ich widerstand nur schwer dem Drang, das Gesicht in den Händen zu vergraben - wobei ich mir nicht sicher war, ob ich lachen oder weinen sollte. Zu meiner Erleichterung hatte das Krankenhaus offenbar beschlossen, das Ganze nicht weiterzuverfolgen. Da die anderen Leichen unberührt gewesen waren, keine fehlte, und wer auch immer dafür verantwortlich gewesen war, keine brauchbaren Spuren hinterlassen
Weitere Kostenlose Bücher