Das Internat
Menge Fragen."
"Haben Sie Antworten?"
"Ich fürchte nein. Ihr Bruder war unschuldig, und ich bin froh, dass ich weitergemacht habe, bis es bewiesen war. Das ist alles, was ich weiß."
"Wer hat ihn ermordet?"
Ihr Gesicht wurde dunkelrot. Vor Wut?
"Warum fragen Sie mich das, Mr. Cross? Ich bin diejenige, die ihn aus dem Gefängnis geholt hat. Wo zur Hölle waren die Menschen, die ihn liebten? Wo zur Hölle waren Sie?"
Jameson konnte keine Antwort geben. Ihren Blick zu erwidern, fiel ihm nicht leicht. Die dunklen Augen ähnelten auch nicht mehr denen eines Rehs, vielmehr schienen sie jetzt zu glühen wie heiße Kohlen. Die Gerüchte stimmten. Er hätte Schutzkleidung tragen sollen.
25. KAPITEL
R owe-Akademie
Januar 1982
"Ich freue mich, euch mitteilen zu können, dass die Familienerbstücke aufgefunden wurden und nun wieder in den Vitrinen der Empfangshalle ausliegen, dort, wo sie hingehören."
Millicent Rowe stand am Pult der Versammlungshalle und sprach so klar und präzise, als hielte sie eine Rhetorikstunde ab. Jane wusste, dass alles, was Miss Rowe tat, einem erzieherischen Zweck diente. Gleichwohl ahnte sie nicht, warum die gesamte Schülerschaft für eine Ankündigung versammelt wurde, in der es um wiedergefundene Erbstücke ging – von deren Verschwinden Jane nicht erfahren hatte.
Wichtigere Dinge beschäftigten Jane. Sie hatte gedacht, dass es in Miss Rowes Ankündigung um Mattie gehen würde, die geschworen hatte, in der Nacht zu fliehen. Am Morgen war Mattie nicht zur Tür gekommen, als Jane geklopft hatte. Jane hoffte, dass Mattie ihre Meinung wegen ihrer Verletzungen geändert und stattdessen ausgeschlafen hatte. Doch auch Breeze und Ivy waren nicht erschienen. Vielleicht schliefen sie auch noch.
Jetzt, bei all diesem unsinnigen Gerede über Erbstücke, wünschte sich Jane, dass auch sie im Bett geblieben wäre. Zumindest hätte sie dann genauso wenig an das nächste Treffen gedacht. Obwohl Miss Rowe sie nach dem letzten Mal zur Seite genommen und ihr versprochen hatte, sie in eine unwiderstehliche Femme fatale zu verwandeln, grübelte Jane.
Dass sie die Gene einer Femme fatale hatte, glaubte Jane nicht. Für eine besonders gute Schauspielerin hielt sie sich ebenso wenig – so gut wie Breeze war sie schon gar nicht. Trotzdem war Jane zu der Überzeugung gelangt, dass sie zumindest so tun könne als ob. Irgendwie würde sie es schon lernen. Sonst hätte sie später nichts vorzuweisen außer einer Aneinanderreihung entwürdigender Erlebnisse mit dem anderen Geschlecht.
"Ich wünschte von ganzem Herzen, dass ich die nächste Ankündigung nicht machen müsste."
Miss Rowes schriller Tonfall unterbrach Janes Gedanken. Die Direktorin schien ungehalten zu sein. Sogar wütend.
"Die Rowe-Akademie", sagte die Schulleiterin, "hat es nie für nötig befunden, ihre Schülerinnen Sicherheitsmaßnahmen auszusetzen, die in die Privatsphäre eingreifen. Jetzt sind wir gezwungen, dies zu ändern. Wir werden keine Metalldetektoren benutzen, aber alle Schülerinnen werden gelegentliche Durchsuchungen über sich ergehen lassen müssen – und das alles, weil zwei von uns Schande über sich gebracht haben, indem sie die Grenzen von Eigentum und Recht respektlos überschritten."
Die Diebe waren Schülerinnen? Jane rutschte auf ihrem Sitz nach vorn und hörte das erste Mal richtig zu. In der letzten Reihe hatte sie sich einen Platz gesucht, aber jetzt wollte sie kein Wort verpassen.
Ein Flüstern erhob sich im Saal. Daraufhin bat die Direktorin mit einer besänftigenden Handbewegung um Ruhe. "Ich bin sehr traurig, es sagen zu müssen: Unter uns gibt es Diebe. Vielleicht hätte ich sie der Polizei überlassen sollen, aber ich halte nun mal nichts davon, anderen den Schwarzen Peter zuzuschieben. Diese Schülerinnen haben gegen die Schulregeln verstoßen, und die Schule sollte das Strafmaß festlegen. Das scheint mir nur angemessen."
Jane schaute sich in der Hoffnung um, ihre Freundinnen zu entdecken. Eine schlimme Vorahnung beschlich sie. Konnte es ein Zufall sein, dass sie heute Morgen von gestohlenen Erbstücken erfuhr, nachdem Mattie letzte Nacht hatte weglaufen wollen? Jane konnte sich nicht selbst vergewissern. Ohne von Miss Rowe und den Mitarbeitern gesehen zu werden, konnte sie den Saal nicht verlassen.
"Matilda Smith und Ivy White haben sich wiederholt über unsere Regeln lustig gemacht", sagte Miss Rowe. "Heute sind sie nicht unter euch, weil sie als Teil ihrer Strafe unter Arrest stehen. Sie sind in
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