Das Internat
ihre Zimmer eingeschlossen und werden außerhalb des Unterrichts an keinen Aktivitäten teilnehmen. Bis auf Weiteres ist euch jeder Kontakt zu ihnen untersagt. Sie haben mich bestohlen – und euch. Sie sind Ausgestoßene, und ich möchte, dass jeder in der Schule sie als solche behandelt."
Jane wusste nicht, was sie tun sollte. Sie wollte vor der Menge aus der Tür stürzen, aber sie konnte sich nicht bewegen. Ein Zustand eisiger Fassungslosigkeit hatte sie ergriffen. Während die anderen Schülerinnen schon aus dem Saal strömten, saß sie da und konnte ihnen nicht ins Gesicht sehen. Als sie aufschaute, bemerkte sie, dass sie den Blickkontakt mit ihr ebenfalls mieden.
Jane erwartete Spott und verächtliche Blicke. Stattdessen gingen die anderen an ihr vorbei, als würde sie nicht existieren. Beinah fühlte sie das Gift, das sie versprühten. Sie hassten sie und ihre Freundinnen, aber ihre Blicke waren auf die Tür geheftet, durch die sie hinausgingen. Sie bestrafen mich auch, begriff Jane. Niemand achtete auf sie, nicht einmal das Personal.
Jane wartete darauf, dass Miss Rowe an ihr vorbeikäme, ihr einen Blick zuwerfen würde und sie damit wissen ließe, dass es hier nicht um sie ginge. Aber als die Direktorin den Saal verließ, schritt sie schnell an Jane vorbei, ohne langsamer zu werden oder sie in irgendeiner Weise zur Kenntnis zu nehmen. Fast hätte Jane ihren Namen gerufen. Doch sie hatte das Gefühl, dass Miss Rowes Verachtung sie zur Salzsäule erstarren lassen würde.
Niemals hatte sich Jane stärker gehasst oder zur Seite geschoben gefühlt. Sogar ihr Leben zu Hause war damit nicht vergleichbar. Es zerriss sie innerlich. Sie wollte hinter Miss Rowe herlaufen, sie um Vergebung anflehen, alles tun, um wieder in ihrer Gunst zu stehen. Aber wie hätte sie Mattie das antun können?
Breeze öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und spähte hinaus. Der Flur lag pechschwarz da. Am frühen Abend, als alle beim Essen waren, hatte Breeze alle Birnen in den Wandleuchtern gelockert. Die Aufsicht sollte es für einen Kurzschluss halten und nicht sofort auf die Idee kommen, die Birnen zu überprüfen. Um solche Dinge kümmerte sich gewöhnlich der Hausmeister. Und er wäre nicht vor morgen früh da, was Breeze genügend Zeit verschaffen würde.
Es schien zu klappen. Die Hausordnung verlangte von den Schülerinnen, sich ab zehn Uhr abends in den Zimmern aufzuhalten. Lichter aus um elf. Jetzt war es Viertel nach elf, der Flur leer. Und dunkel.
Barfuß und im Pyjama, schlich Breeze hinunter zu Matties Zimmer. Entsetzt hatte sie Jane zugehört, die ihr von der morgendlichen Versammlung erzählt hatte. Obwohl Jane auf ihrer Seite stand, wollte sie sie heute Nacht nicht begleiten. Jane hatte nicht weiter darüber reden wollen, nachdem sie Breeze gewarnt hatte, dass sie ebenfalls gemieden würde. Keine andere Schülerin würde mit ihr sprechen. Breeze spürte, dass Jane deshalb am Boden zerstört war, aber für Breeze würde sich dadurch nichts ändern. Sie hassten sie sowieso. Sie war zu hübsch, zu verrückt nach Jungs, zu viel von allem.
Matties Tür war verschlossen. Mit einer altmodischen Haarnadel gelang es Breeze, das Schloss zu bewegen. Diesen Trick beherrschten die meisten Schülerinnen, um sich nicht aus dem eigenen Zimmer auszusperren.
Sie betrat den Alkoven und tastete sich an der Wand entlang. Auch in Matties Zimmer war es pechschwarz. Nicht einmal das Bett am Fenster konnte Breeze erkennen, was bedeutete, dass die Vorhänge zugezogen waren, vermutlich wegen des Mondlichts … Mattie störte das fahle Licht nie. Hatte jemand anders den Raum abgedunkelt?
Breeze hatte Angst, den Namen ihrer Freundin zu rufen. Sie wusste nicht, womit sie es zu tun hatte, und so machte sie sich vorsichtig auf den Weg durch das Zimmer. Bei Mattie lag immer irgendwo ein Berg Klamotten herum, und sie wollte nicht stolpern.
Scheiße!
Mit dem Schienbein stieß Breeze gegen etwas und zuckte vor Schmerzen zusammen. Das Bettgestell. Um etwas in der Dunkelheit auszumachen, beugte sie sich hinunter, doch sie konnte keine menschliche Gestalt erkennen. Die Decke war glatt. Es sah nicht so aus, als hätte jemand in dem Bett geschlafen.
Hatten sie Mattie weggebracht? Sie bereits getötet?
Breeze wünschte, sie könnte die Lampe einschalten. Aber das Licht hätte man unter der Tür gesehen, es wäre sofort aufgefallen. Als Breeze zurücktrat, hörte sie den Dielenboden knarren. Erschrocken drehte sie sich um und sah etwas auf sich zukommen.
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