Das Internat
Ivy weggelaufen waren. Er kam ihr nicht bekannt vor, aber es war ja auch Jahre her. Etwas Goldenes stach ihr ins Auge, als er sich bewegte. Zunächst hielt Mattie es für eine Armbanduhr. Doch es kam von der Flurwand, wo das Polizeiabzeichen gerahmt und aufgehängt war.
Der leuchtende goldene Stern weckte in Mattie sofort Erinnerungen an die Nacht in der Polizeiwache – und an das dunkle Klassenzimmer, in dem ein Mann mit den goldenen Sternen auf den Manschettenknöpfen Matties Mund zu berühren versucht hatte.
Die Erinnerung rief sofort eine körperliche Reaktion bei Mattie hervor. Hätte sie nicht gerade vor der zurückhaltenden Nola gestanden, sie hätte sich möglicherweise direkt übergeben. Sie hatte keine Kontrolle über diese Dinge aus der Vergangenheit. Viele Jahre lang hatte Mattie sie mit einer Kombination von Willen und einer Umlenkung der Emotionen verdrängt. Jetzt funktionierte das nicht mehr.
"Können wir hinausgehen?", fragte Nola, die einen Schritt vortrat und die Tür hinter sich zuzog. "Macht es Ihnen etwas aus? Es ist so ein wunderschöner Tag."
Es war ein furchtbarer Tag, grau und verhangen. Mattie war jedoch zu mitgenommen, um Einwände zu erheben. Sie musste klug vorgehen, sonst würde man ihr die Tür vor der Nase zuschlagen. Nola Daniels war auf dem Weg nach draußen.
"War das Ihr Mann da drinnen?", fragte Mattie. "Sind Sie sich sicher, dass ich nicht mit ihm reden kann? Ich kann gern warten, bis er aufgelegt hat."
"Pst. Kommen Sie mit." Nola winkte Mattie zu sich, während sie auf die alte Eiche zuging.
"Stimmt etwas nicht?"
Nola zog Mattie am Handgelenk näher. Sie senkte die Stimme. "Danny glaubt, dass jemand am anderen Ende der Leitung ist. Da ist aber niemand. Es ist seine schlechte Verfassung. Er glaubt, dass ihn Leute anrufen und bedrohen. Ich will ihn nicht aufregen."
"Seine schlechte Verfassung?"
Nola trat einen Schritt zurück und sah sie an. "Dann sind Sie wohl nicht die neue Therapeutin?"
"Nein, ich wollte ihm einige Fragen zu einem Fall stellen."
"Dann sind Sie eine Reporterin? Erst letzte Woche war einer hier. Danny ist nicht mehr der Polizeichef, wissen Sie. Er ist vor einigen Jahren in den Ruhestand gegangen."
Mattie machte sich in Gedanken eine Notiz, dass sie nach den Reportern fragen sollte, streckte die Hand aus und stellte sich kurz vor. "Ich interessiere mich für einen alten Fall. Ich arbeite in der Justiz und mache ein paar Recherchen. Es tut mir leid, von den Problemen ihres Mannes zu hören. Würden Sie mir sagen, worum es geht?"
"Es ist schlimm", sagte Nola und warf einen Blick zum Haus, als ob sie erwartete, dass ihr Mann durch die Tür hinauskäme. "Bei ihm ist Alzheimer diagnostiziert worden. Ich werde wohl nicht mehr viel Zeit mit ihm haben. Über welchen Fall möchten Sie mit ihm sprechen? Ich erinnere mich an die meisten. Wir sind fast vierzig Jahre verheiratet."
"Den Mord an Millicent Rowe." Mattie hatte sich entschlossen, die Wahrheit zu riskieren. Selbst wenn der pensionierte Polizeichef ein Mitglied des Sexrings gewesen war, wusste seine Frau wahrscheinlich nichts davon. Sie wäre vielleicht auskunftsfreudiger als er.
"Die Direktorin unten in Rowe?" Noras Falten vertieften sich bei dem Versuch, sich zu erinnern. "Das ist schon zwanzig Jahre her, nicht wahr? Es tut mir leid, Miss Smith, aber Danny kann sich nicht einmal an das erinnern, was vor zwanzig Minuten passiert ist, und Ihre Fragen würden ihn nur aufregen. Er wird nicht gern an seine Schwächen erinnert."
Das hatte Mattie befürchtet. "Mrs. Daniels, was ist mit diesen Drohanrufen, die ihr Mann bekommt. Können Sie mir darüber etwas sagen?"
Nolas fragender Blick warnte Mattie, sich noch weiter in ihre Privatangelegenheiten zu mischen. "Ich habe Ihnen gesagt, dass es keine Drohanrufe gibt", sagte sie bestimmt. "Er bildet sie sich nur ein, und sie werden es schlimmer machen, genau wie der Mann, der ihn letzte Woche besucht hat, der Schriftsteller."
Mattie hatte sie doch noch nach dem Reporter fragen wollen. Vielleicht waren er und der Schriftsteller ja ein und dieselbe Person. "War es Jameson Cross? Hat er mit Ihrem Mann gesprochen?"
Nola warf wieder einen Blick zum Haus. "Ich glaube, er hieß Cross, aber ich habe ihn nicht hereingelassen. Danny denkt, dass jeder gegen ihn ist. Er lebt hier ganz in Ruhe, es ist nur sein Kopf. Die Krankheit lässt ihn solche furchtbaren Sachen sagen."
Mattie wollte alles über die furchtbaren Dinge wissen, aber ihr war klar, dass sie jetzt nicht
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