Das Jahr der Kraniche - Roman
Arme, hielt sie fest an sich gedrückt.
»Sie will mir das Baby wegnehmen.«
Laura keuchte an seiner Brust.
»Beruhige dich doch. Du hast nur schlecht geträumt.«
Ihr Blick war panisch.
»Ich bin hier. Bei dir. Ich lasse nicht zu, dass dir was geschieht.«
»Sie kann es nicht ertragen, dass ich ein Baby bekomme. Sie will es haben.«
Stoßweise atmend erzählte sie Jan von ihrem Traum. Er war erschüttert über die reale Angst, in der sie sich befand. Als könnte sie Traum und Wirklichkeit nicht auseinanderhalten. Seit sie schwanger war, hatte sie immer wieder grauenvolle Träume gehabt. Und immer hatte jemand versucht, ihr das Kind wegzunehmen.
Langsam beruhigte sich Laura und sah ihn verlegen an.
»Tut mir leid, dass ich dich gestört habe.«
Sie war wie öfters in der letzten Zeit schon früh zu Bett gegangen, während Jan noch unten am Computer arbeitete.
Die Schwangerschaft nahm sie mehr mit, als sie erwartet hatte. Nicht nur, dass sie schreckliche Träume quälten. Seit ein paar Wochen war sie auch von entsetzlichen Übelkeitsanfällen geplagt. Es war nicht die übliche morgendliche Übelkeit, die viele Schwangere in den ersten Wochen durchstehen mussten. Laura hatte sich bis zu fünfzigmal am Tag übergeben. Sie wurde immer dünner und schwächer.
Marius hatte sie schließlich für ein paar Tage ins Krankenhaus überwiesen, wo man ihren enormen Flüssigkeitsverlust, der nicht nur für sie, sondern auch für ihr Baby gefährlich war, mit Infusionen ausgeglichen hatte. Hyperemesis gravida nannte man diese schwere Form von Schwangerschaftsübelkeit, die bei kaum einem Prozent werdender Mütter vorkam. Sie hing, wie Marius ihnen erklärte, mit der hormonellen Umstellung durch die Schwangerschaft zusammen, die bei manchen Frauen die Magenflora so veränderte, dass sie nichts mehr bei sich behalten konnten. Laura war entsetzlich enttäuscht gewesen, dass es ihr so schlecht gegangen war. Sie hatte sich so darauf gefreut, schwanger zu sein, zu spüren, wie sich das Leben in ihr entwickelte. Doch durch die Übelkeit war sie traurig, fast depressiv geworden. Wenn Jan nicht gewesen wäre, der sich aufopfernd um sie kümmerte, und Elke, die sie täglich besuchte und ihr mit kleinen Geschenken Mut machen wollte– Laura hätte nicht gewusst, wie sie die Zeit hätte überstehen sollen. Sie hatte sich dafür gehasst, ihrem Kind keine ausgeglichene, fröhliche werdende Mutter zu sein. Zeitweilig hatte sie auch das Kind gehasst, das sie in einen derartig jämmerlichen Zustand versetzt hatte. Wenn es doch nur schon vorbei wäre. Wenn es doch nur schon März wäre und das Kind endlich auf der Welt. Es graute ihr vor den kommenden Monaten. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie sie überstehen sollte. Dazu gesellte sich in letzter Zeit noch eine tiefe Scham. War es ein Wunder, dass sie träumte, das Kind würde ihr aus dem Bauch geschnitten und weggenommen werden, wenn sie sich doch heimlich wünschte, sie wäre nie schwanger geworden? Nein, die Träume waren die gerechte Strafe für ihren Egoismus.
»Ich bin so schrecklich. Das Baby wird mir das nie verzeihen.«
Sie legte sich erschöpft auf das Kissen zurück und schloss die Augen. Sie konnte Jans sorgenvollen Blick nicht ertragen.
»Was für ein Blödsinn. Du bist erschöpft von der Übelkeit. Und auch enttäuscht, ganz klar. Da ist es nur normal, dass du so einen Blödsinn träumst. Aber es ist nur ein Traum, Laura. In Wirklichkeit freust du dich auf das Baby. Und das ist das Einzige, was es spürt– mal abgesehen davon, dass ich es jetzt schon liebe.« Er beugte sich über sie, küsste sie auf den kleinen Bauch. »Hörst du das, Zwerglein? Wir freuen uns ganz irre auf dich. Du schläfst jetzt in deinem warmen Nest noch ein paar Monate, und wenn du dann die Welt sehen willst, werden wir dich mit Pauken und Trompeten in Empfang nehmen.«
Er presste die Lippen auf die Rundung und prustete. Laura musste lachen. Ihre Finger drehten Locken in Jans Haar.
»Ob sie wohl deine Locken haben wird?«
»Sie? Wieso denkst du, dass wir ein Mädchen bekommen werden?«
»Jette hat gesagt, wenn es einem immer so furchtbar übel wird, wird es ganz sicher ein Mädchen. Vor allem, wenn man dabei auch noch so beschissen aussieht wie ich. Jungenmütter sind strahlend schön während der Schwangerschaft. Mädchenmütter sehen eher aus wie ich.«
Sie sah wirklich nicht gut aus in der letzten Zeit. Ihr Gesicht, das immer blasser geworden war, war eingefallen. Unter den Augen
Weitere Kostenlose Bücher