Das Jahr der Kraniche - Roman
räume ich die Spülmaschine ein, und heute Nachmittag bring ich euch das Hühnerfrikassee, das ich Jan versprochen habe.«
Hatte sie Elke nicht gesagt, dass es kaum etwas gab, das sie mehr hasste als Hühnerfrikassee? Es schüttelte sie schon bei dem Gedanken an das farblose und für sie auch völlig geschmacksfreie Gericht. Wahrscheinlich hatte Elke es vergessen. Sie würde einfach ein paar Bissen essen und Jan den Löwenanteil überlassen, denn der liebte das Gericht, das ihn an seine Kindheit erinnerte. Widerstrebend trank sie den letzten Schluck des Smoothies und konnte es gerade noch verhindern, dass sich ihr Gesicht vor Ekel verzog, als sie die breiartige Flüssigkeit ihre Kehle hinunterrinnen spürte.
»Braves Mädchen.«
Elke nahm ihr das Glas ab. » Du wirst sehen, dein Magen wird sich schnell beruhigen.«
Und wenn mir der Magen von deinem grünen Zeug weh tut? Wenn ich die ganzen Kräuter und Gemüse einfach nicht vertrage?
Laura wagte es nicht, Elka zu bitten, sie doch einfach in der nächsten Zeit mal mit ihren Zaubertränken zu verschonen. Sie wollte die Freundin nicht kränken.
Lieber tut mir der Magen weh? Ich hab sie doch nicht alle.
Sie ahnte, dass sie ein schlechtes Gewissen Elke gegenüber hatte. Sie hatte das Glück gehabt, schwanger zu werden. Sie würde das bekommen, was sich Elke so sehnlichst gewünscht hatte. Und sie fühlte sich schlecht und krank und hatte sich nicht nur einmal gewünscht, das Kind einfach nicht bekommen zu müssen. Wenn Elke an ihrer Stelle gewesen wäre, sie hätte gestrahlt und sich fröhlich dem Nestbau zugewandt. Sie hätte sich weder von Übelkeit noch von Magenschmerzen, noch von schlechten Träumen beeindrucken lassen. Wahrscheinlich hätte sie das alles auch nicht gehabt.
Sie musste ihr einfach dafür dankbar sein, dass sie es ihr nicht übel nahm, dass sie das Kind bekam, das Elke nie haben würde, dass sie nicht neidisch war, sondern sich mit ganzem Herzen für Laura und Jan freute und alles dafür tat, dass es Laura in diesen Monaten gut ging. Sie hörte das Geschirr klappern, das Elke in die Spülmaschine räumte, und kam sich furchtbar egoistisch vor. Wieso konnte sie Elke die Freude nicht gönnen, sie und ihr ungeborenes Kind zu verhätscheln? Wieso war sie so schlecht gelaunt und ungeduldig?
Elke würde es nicht zulassen, dass Laura sich nicht richtig um Jans Kind kümmerte. Eine Frau, die sich so wenig auf ihr Baby freute, würde mit Sicherheit auch keine gute Mutter sein. Auch wenn Marius nicht ihrer Meinung war, sie wusste, dass Laura es nicht schaffen würde, das Kind so zu lieben, wie es das verdiente.
Natürlich war Marius nicht ihrer Meinung. Er war ja fast so blind, was Laura anging, wie Jan. Eine tolle Frau sei sie, ein Segen für Jan– und für sie. Wie er sich freute, dass sie und Laura befreundet waren. Als hätte sie so eine Freundin überhaupt nötig. Sie wusste, dass Marius sich Sorgen gemacht hatte, weil sie so gern allein war, weil ihr Haus nicht dauernd voll gewesen war mit schnatternden Weibern, die über alles und jedes tratschten und sich zum Kaffeeklatsch und gemeinsamen Kinobesuchen trafen. Sie spürte seinen erleichterten Blick, wenn sie für Laura kochte, wenn sie ihm erzählte, dass sie den ganzen Nachmittag bei ihr gewesen war und sie es so richtig schön miteinander gehabt hatten. Er hatte nie begriffen, dass sie einfach nicht mehr wollte, als mit ihm glücklich zu sein. Sie brauchte keine Freundin. Sie hatte ihn, sie hatte ihren Vater, und sie hatte Jan. Genug Menschen, die sie liebte und um die sie sich sorgte. Sicher, sie hatte sich gefreut, als Jan Laura mitbrachte, aber doch nicht, weil sie sich einsam gefühlt hätte. Es war ihr nur um Jan gegangen. Wenn er mit dieser neuen Frau glücklich sein konnte, dann freute sie sich für ihn. Für den Mann, der es so sehr verdient hatte, nach den Jahren des Schmerzes und der Qual nun endlich wieder voller Optimismus auf sein Leben zu blicken. Sie hatte Laura alle Chancen gegeben. Sie hatte sich bemüht, sie zu mögen. Und sie hatte sich für sie gefreut, dass sie ein Kind erwartete. Aber Laura hatte sie enttäuscht. Jan war in ständiger Sorge um sie. Sein Lachen war verschwunden. Auf seiner Stirn war eine steile Falte entstanden. Und war nicht auch sein Haar grau geworden in den letzten Monaten? So sehr er es auch allen vorzumachen versuchte– er war nicht glücklich. Allein, wenn er von seinem Kind redete, bekamen seine Augen einen heiteren Glanz, klang seine Stimme
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