Das Jahr der Kraniche - Roman
sich, Jan kennenzulernen, zumal er ja dessen Eltern schon vor Jahren begegnet war.
»Ich hatte mich schon gefragt, wie es kommt, dass Sie wieder in dieses Haus ziehen.«
Bemerkte er nicht die plötzliche Stille, die sein Satz auslöste, sah er nicht Jans Stirnrunzeln? Laura war es, als würde sich ihr eine kalte Hand in den Nacken legen.
»Wieso? Was haben Sie denn gegen dieses Haus?«
Jans Stimme klang plötzlich kühl. Das war so auffällig, dass Michael Persius sich beeilte, die Wucht seines Satzes zu relativieren.
»Natürlich, es ist ein wunderbares Haus, keine Frage. Es ging mir eigentlich auch weniger um die Architektur…«
Er stockte.
Bitte sprich nicht weiter.
Als würde Laura ahnen, was nun passieren würde, fing sie an, Elkes Rhabarberkompott zu loben. Doch Jan unterbrach sie.
»Um was ging es Ihnen denn? Sagen Sie es. Es würde mich interessieren.«
»Na ja…« Persius suchte nach Worten. Er spürte, dass er sich auf dünnem Eis bewegte, wenngleich er auch nicht genau wusste, wie er dahin gekommen war. »Ich dachte immer, dass jeder Architekt davon träumt, sich ein Haus nach seinen eigenen Wünschen zu bauen. Ich meine, wenn ich mir so vergegenwärtige, wie Ihre Bauten aussehen, hat dieses Haus ja nicht viel damit zu tun.«
»Ich liebe dieses Haus. Und ich bin irre froh, dass ich hier wohnen darf.«
Laura hoffte, dass ihr Einwand die Richtung des Gesprächs ändern würde.
»Das verstehe ich. Sie haben es ja auch geschafft, es zu Ihrem Haus zu machen. Es ist Ihnen wirklich gelungen, eine neue Atmosphäre zu schaffen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass die Atmosphäre, die hier vorher geherrscht hat, Ihnen nicht zugesagt hat? Soweit ich weiß, sind Sie doch nur ein-, zweimal hier gewesen.«
Die Aggressivität in Jans Stimme war unverkennbar.
»Das stimmt. Aber es hat ausgereicht, um zu spüren… Hören Sie, ich muss Ihnen doch nicht sagen, dass es hier immer ein wenig… düster war. Das werden Sie doch selbst bemerkt haben.«
»Wie ich das Haus empfunden habe, ist letzten Endes irrelevant. Meine Eltern haben hier gelebt. Sie haben es sich so eingerichtet, wie es ihnen gefallen hat. Sie waren zufrieden damit, so wie es war, und das dürfte doch wohl das Entscheidende gewesen sein.«
»Wenn es ausreicht, zufrieden zu sein, sicher. Ich würde mir aber wünschen, dass ich dort, wo ich lebe, auch glücklich bin.«
Laura hielt den Atem an. Sie sah, dass Elke auf den Tisch starrte, die Schultern hochgezogen, als würde sie einen Schlag erwarten. Marius wollte etwas sagen, doch Jans schneidende Stimme unterbrach ihn, bevor er ansetzen konnte zu reden.
»Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass meine Eltern hier nicht glücklich gewesen sind. Sie haben sie doch kaum gekannt.«
Laura hielt es nicht mehr auf ihrem Stuhl.
»Wollen wir den Kaffee nicht auf dem Steg nehmen? Es ist so eine schöne Nacht. Kommen Sie, Michael, helfen Sie mir.«
Sie ging in die Küche voraus. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals und wurde erst wieder ruhiger, als sie das Wasser in die Espressomaschine füllte.
»Es tut mir leid. Ich bin da wohl etwas zu weit gegangen.«
Michael Persius ’ Stimme klang bedrückt.
»Ich verstehe nicht, was in Sie gefahren ist. Wie können Sie meinem Mann sagen, dass seine Eltern…«
»Ich habe nicht von seinen Eltern geredet. Nur von seiner Mutter. Und die… war in diesem Haus definitiv nicht glücklich.«
Laura starrte ihn an. Er erwiderte ihren Blick mit einem unglücklichen Grinsen.
»Ich weiß, wovon ich rede. Tut mir leid.«
Sie wollte nicht, dass er weiterredete. Zwar wusste sie nicht, warum, aber da war plötzlich dieses Unbehagen, dieses merkwürdige Gefühl in ihrem Magen.
»Wollen Sie mir eigentlich die Freude an meinem Haus verderben?«
»Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass Sie hier nicht auch noch unglücklich werden.«
So wie meine Schwiegermutter? So wie Julia?
» Sie hätte weggehen sollen. Sie hätte das Haus verlassen sollen. Vielleicht würde sie dann noch leben.«
Laura glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Niemals hatte Jan davon geredet, dass seine Mutter hier unglücklich gewesen wäre, in ihrem Haus, in ihrer Ehe. Er hatte immer nur davon erzählt, wie eng seine Bindung zu Irina gewesen war, wie gut sie sich verstanden hatten. Es fiel ihr ein, dass er kaum von seinem Vater geredet hatte. Und schon gar nicht von der Ehe seiner Eltern.
»Und soweit ich gehört habe, hat es die letzte Frau, die hier gelebt hat, ja auch nicht
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