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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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Stock
hinauf und endete in einer Galerie, von der aus die Schlaf- und Ankleidezimmer
der übrigen Taschners zu erreichen waren.
    Rieke war hingerissen von der architektonischen
Schönheit des Hauses.
    Ihr Zimmer hatte ein altes Pfostenbett mit
handgewebten Decken und Gardinen. Es war ein großer Raum — edel und klamm.
    Rieke suchte ihre Koffer, aber sie waren bereits
ausgeräumt. Ihr spärlichen Fummel baumelten hoch oben in einem Schrank, in dem
sie bequem zehn Liebhaber auf einmal hätte verstecken können.
    Im angrenzenden Bad paradierten ihre
sechseinhalb Kosmetika, selbst die Zahnbürste lugte bereits über den Rand eines
Glases. Und all das war durch das Gebimmel einer silbernen Tischglocke, lässig
aus dem Handgelenk geschüttelt, veranlaßt worden.
    Einfach phantastisch!
    Sie beschloß, für Sixten solch Glöckchen in
einfacher Ausgabe zu besorgen. Das war endlich einmal ein sinnvolles
Mitbringsel.
    Heftiger Gewitterregen prasselte in den
Innenhof. Sein Geräusch mußte Frau Taschners Schritte übertönt haben, denn sie
stand plötzlich in der geöffneten Tür und lächelte müde.
    »Sind Sie mit Ihrem Zimmer zufrieden, Fräulein
Birkow? Haben die Mädchen auch nichts vergessen?« Rieke überlegte, ob es wohl
unhöflich war, wenn sie die Hausfrau sofort von der Verstopfung ihres Klos in
Kenntnis setzte. (Kaum angekommen und schon Beanstandungen!)
    »Ich fahre jetzt zum Markt«, sagte die Señora.
»Wenn Sie Lust haben...?«
    Pepe wartete bereits im Auto auf sie. Er machte
Rieke heimlich Zeichen, daß er ihr dringend etwas erzählen müsse, aber nicht,
solange sich seine Mutter in Hörweite befand. Frau Taschner fuhr ihren Wagen
selbst.
    Es war, als ob sie einen Paradiesgarten
verließen, den die hohen, grauen Mauern schützend in ihre Arme genommen hatten.
    Auf der Straße spielten zerlumpte Halbwüchsige
Fußball mit einer Blechdose. Zwei puschlige junge Hunde balgten sich um eine
Wäschesammlerin, die mit ihren riesigen, weißen Bündeln auf dem Pflaster
ausruhte. »Soviel Reichtum und dazwischen diese Armut«, sagte Rieke.
    »Ach, weißt du, daran gewöhnt man sich«, sagte
Pepe. »Gewöhnen?« fragte sie ungläubig.
    »Die Slums in unserer Gegend sind nicht unsere
Schuld«, erklärte Frau Taschner. »Was glauben Sie, was denen schon geboten
worden ist, damit sie hier fortziehen. Sozialwohnungen. Grundstücke am
Stadtrand. Aber nein, sie wollen unbedingt hier bleiben und blockieren damit
unseren teuersten Baugrund. — Daran sehen Sie, Fräulein Birkow, wie viele
Rechte der einzelne bei uns hat.« Und als Rieke nicht gleich antwortete, fragte
sie mit einem kurzen, prüfenden Seitenblick: »Sind Sie Sozialistin?« Von Pepe
kam ein mahnender Buff.
    Rieke sagte: »Man kann doch gar nicht anders als
sozial denken.«
    »Oh, das tun wir auch«, versicherte Frau
Taschner. »Die Wohlhabenden des Landes tun mehr für die Armen, als der Staat es
je vermag. Ihm fehlen einfach die Mittel dazu. Keine Regierung — ob rechts oder
links — kann auf unsere privaten Wohltaten verzichten. Aber...«, sie hatte eine
dichtbefahrene Hauptstraße erreicht und schob ihren Wagen wie einen Keil in den
breiten Strom der Autofahrer, mit stoischer Ruhe ihr Hupkonzert überhörend.
    »Wenn die Regierung weiter versucht, unsere
Rechte zu beschneiden und uns zu enteignen, dann werden wir nicht länger in
Mexiko investieren, sondern unsere Gelder ins Ausland bringen.« Frau Taschner
hatte den Verkehr zum Erliegen gebracht, aber dennoch ohne Beule die
gegenüberliegende Fahrbahn der Hauptstraße erreicht. Das einzige, was bei
diesem Manöver zu Schaden gekommen war, waren Riekes Nerven.
    »Und ich frage Sie — was wird dann aus Mexiko?«
    Vor der Markthalle gab es weit und breit keine
Parkmöglichkeit. Pepe winkte einen jungen Mann heran und übergab ihm die
Autoschlüssel. Sie stiegen aus, er stieg ein und fuhr mit ihrem Wagen davon.
    »Kennst du den?« erkundigte sich Rieke.
    »Nein. Wir wissen nur, daß er Jesus heißt.«
    »Und das genügt bei vierzehn Millionen
Einwohnern?«
    »Ja.«
    Sie stellte sich dieselbe Situation in ihrem
Wohlstandsland vor. Oder gar in Italien.
    Gottes willennnnn!!!
    Die Markthalle war wie eine Glocke, die ein
Gewimmel von Stimmen und Gerüchen gefangenhielt — Blumen, Kräuter, Tierblut,
Früchte, Fische, Gemüse, geröstete Schweinshaut, Innereien.
    Halbwüchsige rannten hinter Frau Taschner her,
sie wählte zwei von ihnen aus als Packeselchen für ihre Einkäufe.
    Pepe zog Rieke beiseite und

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