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Das kommt davon, wenn man verreist

Das kommt davon, wenn man verreist

Titel: Das kommt davon, wenn man verreist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Noack
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verkündete seine
Alarmnachricht, die er bisher nicht an sie hatte weitergeben können: »Heute
abend kommt Malinches Vater zu uns. Er hat Mama angerufen.«
    »Au Backe«, sagte Rieke erschrocken.
    »Aber ich bin nicht da. Ich besuche Malinche in
der Zeit.«
    Nicht etwa, daß Pepe feige gewesen wäre. Er sah
den Dingen schon ins Auge, und das bereits seit Monaten — nur Malinches Vater
sah er nicht gern hinein.
    Er war Maler und während der letzten Monate
nicht in der City gewesen, dank seiner Lehrtätigkeit an der Kunstschule von San
Miguel de Allende und einigen Ausstellungen seiner Bilder in anderen
lateinamerikanischen Ländern.
    »Malinche hat ihm die Geburt schriftlich
mitgeteilt. Gestern ist er angekommen.«
    »Künstler haben meistens nicht so streng
konservative Moralbegriffe wie das Bürgertum«, versuchte Rieke ihn zu trösten.
    »Aber wenn es um die Ehre der Tochter geht?«
Pepe kannte seine Landsleute. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Sogar damit,
erschossen zu werden.
    »Hör mal, ihr seid hier nicht in Sizilien!«
    »Nein, aber in Mexiko!«
    »Du wirst sie heiraten müssen!«
    »Pschscht! Meine Mutter!«
    »Würdest du sie heiraten?« flüsterte Rieke und
starrte auf das Massenhängen geköpfter, gelbsüchtiger Hühner, von denen sich
Frau Taschner jedes einzelne vorführen ließ, ehe sie vier auswählte.
    »Natürlich«, flüsterte Pepe zurück. Eine Ehe mit
Malinche erschien ihm in seiner Bredouille noch als das angenehmste Übel, denn
es barg viele Vorteile in sich. Erstens einmal ein ständiges Zusammenleben mit
seinem Mädchen, eine lustige Kinderehe mit ihrem Puppenkind, das sie Ester
taufen wollten. Ester war Malinches Lieblingsname, so hatte schon eine ihrer
Puppen geheißen und ihr Haubenkakadu. Zweitens konnte ihn dann niemand mehr in
ein deutsches Internat schicken.
    Malinches Ehre wäre gerettet und die Sorge,
erschossen zu werden, aus der Welt geschafft. Beide würden auf eine Schule
überwechseln, auf der man sie nicht kannte. Für das Baby sorgte während der
Schulstunden Malinches Tante, bei der sie auch wohnte...
    »Ich bin fertig, wir können fahren«, sagte Frau
Taschner.
    »Ja, Mamita.« Pepe dackelte folgsam hinter ihr
und den Kindern, die ihre Einkäufe schleppten, auf die Straße hinaus.
    Der junge Mann namens Jesus fuhr im selben
Augenblick vor der Markthalle vor. Wie ihm das bei diesem totalen Verkehr
rechtzeitig gelang, war sein Trick, und vom Trinkgeld für dieses Kunststück
lebte seine Familie.
    Auf der Heimfahrt bat Pepe seine Mutter, vor dem
Supermarkt zu halten. Er stieg alleine aus und kam gleich darauf mit einem
Jungen wieder, der mehrere Großpackungen von Schwedenwindeln schleppte.
    Frau Taschner wollte bei ihrem Anblick in
Ohnmacht fallen.
    Rieke tat so, als ob ein Fünfzehnjähriger, der
Windeln kaufte, das Selbstverständlichste von der Welt wäre.
     
    »Um vier Uhr wird zu Mittag gegessen!« sagte die
Señora zu Friederike, als sie vom Markt zurückkehrten. »Wenn Sie sich
inzwischen ausruhen möchten...« Bei aller Liebenswürdigkeit war der Wunsch
hörbar, Pepes Gast aus Deutschland möglichst rasch und langfristig aus dem
Geschehen zu räumen.
    Rieke wollte sich folgsam zurückziehen, aber er
hielt sie mit schalldichter Stimme auf. »Wenn du Fotos von Malinche sehen
möchtest, komm herauf. Die letzte Tür auf der Galerie.«
    Es sah in seinem Zimmer genauso aus wie in den
Zimmern europäischer Fünfzehnjähriger — an den Wänden Poster von veitstanzenden
Popsängern, auf dem Fußboden Platten, Kassetten, Recorder, Schnüre und Kabel
zum Stolpern und eine unheilbare Unordnung überall. In einem Bord klemmten
kreuzlahm zwei abgenutzte Plüschtiere aus seiner Kinderzeit, die ja noch nicht
lange zurücklag.
    Er sagte: »Am besten, wir gehen in mein
Schlafzimmer, da ist mehr Platz.«
    »Magst du was trinken? Vielleicht Cola mit Rum?«
    Eis und Cola holte er aus einer Box, den Rum
etwas umständlicher hinter den Sockenbergen aus seinem Kleiderschrank. Er
durfte ja noch keinen Alkohol trinken. »Du wolltest mir Fotos von Malinche
zeigen.«
    Aber zuvor zeigte er ihr die vielen kleinen
präkolumbianischen Figürchen auf seinem Wandbord — Tänzer, Schwätzer, Bettler,
Wasserträger, Fresser, Säufer, Tortillabäckerinnen, Gebärende, Lachende,
Leidende und immer wieder Mütter mit ihren Babys...«
    »Die sind nicht aus dem anthropologischen Museum
geklaut, die hat Malinche nachgebildet«, sagte Pepe stolz. »Sie macht auch
tolle Papierschnitte, aber nur zum Spaß.

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