Das Krähenweib
lenkte den Wagen in die Scheune, danach half sie Johann beim Schließen des Tors.
»Wir brauchen Licht«, sagte Johann. »Ich schau mal nach, ob ich auf dem Karren etwas finde.«
Damit verschwand er im Wageninneren. Er kramte eine Weile in den Kisten, die dort standen und die sie sich bisher erst flüchtig angeschaut hatten. Dann kam er wieder zu ihr, in der Hand einen Krug, aus dem es nach Lampenöl roch, Feuersteine und ein Stück Stoff. Röber hatte dergleichen offenbar für längere Reisen in dem Wagen aufbewahrt. »Ich glaube, damit können wir etwas anfangen.«
In den nächsten Minuten konnte Annalena beobachten, wie er sich mühte, ein Feuer zu entfachen. Er brauchte eine Weile, doch schließlich gelang es ihm. Die Flamme schlängelte sich an dem Lappen empor, der mittlerweile mit dem Öl getränkt war. Das unruhige Flackern konnte in die Tiefen des Gebäudes nicht vordringen, doch es hüllte sie in einen gemütlichen Kreis aus Licht ein. Gemeinsam schirrten sie nun die Pferde ab und banden sie an Stützpfosten fest.
»Wir sollten aus unseren Kleidern heraus«, sagte Johann. »Sonst holen wir uns noch den Tod. Auf dem Wagen sind Decken, in die können wir uns wickeln.«
Die Stunde der Wahrheit, dachte Annalena und spürte, wie sich ihre Eingeweide vor Furcht zusammenzogen. Die Lampe spendete nicht besonders viel Licht, aber es würde ausreichen, um die Narben auf ihrem Rücken zu erkennen. Sie nickte stumm und hielt Ausschau nach einer Ecke, die dunkel genug war, um sich darin zu verbergen. Als er vom Wagen zurückkam, reichte er ihr eine Decke.
»Dreh dich bitte um.«
Johann folgte ihrem Befehl ohne Spott oder Widerworte und wandte den Blick dem Tor zu, hinter dem es noch immer grollte und blitzte.
Annalena trat ein Stück zurück und entledigte sich erst ihrer Kleider, als sie völlig in der Dunkelheit stand. Als sie fertig war, schlang sie die Decke so um ihren Körper, dass sie fest an ihrem Rücken anlag. An den Narben war der rauhe Stoff alles andere als angenehm, aber das war in ihren Augen ein geringer Preis dafür, dass er ihr Geheimnis nicht entdeckte.
»Ich bin fertig«, sagte sie nun, die Augen auf Johann gerichtet, der sich so langsam umdrehte, als fürchte er, doch noch etwas zu sehen, was nicht für seine Augen bestimmt war.
»Gut, dann bin ich an der Reihe. Meinetwegen kannst du hinschauen«, sagte er lächelnd, doch Annalena wandte sich um.
Ihre Decke hielt sie dabei so fest an den Körper gezogen, dass sie jede einzelne Faser an ihrem Rücken spüren konnte. Der Wind pfiff zwar nur ganz leicht durch die Ritzen, trotzdem konnte sie nichts gegen die absurde Angst tun, dass ein Windstoß ihr die Decke vom Leib reißen könnte.
»Kannst dich wieder umdrehen«, sagte Johann belustigt, während er seine Kleider auf dem Stroh ausbreitete. Annalena holte ihre eigenen Sachen und legte sie daneben. Dabei war sie seinem nackten Oberkörper so nahe, dass sie seine Wärme spüren konnte. Danach setzten sie sich ins Stroh und schmiegten sich aneinander.
»Erzähl mir etwas von dir«, flüsterte er schließlich.
Annalena versteifte sich unwillkürlich.
Als Johann das spürte, fügte er hinzu: »Du musst mir nichts erzählen, aber bitte versteh, dass ich mich für dich interessiere. Immerhin weiß ich fast gar nichts von dir, und das, obwohl wir uns so viele Male geküsst und sogar andere Dinge getan haben.«
Er hatte recht, das wusste Annalena. Ihre Beziehung war in den vergangenen Tagen enger geworden und hatte einen Punkt erreicht, an dem sie vielleicht ehrlich sein sollte. Doch ihre Angst stemmte sich gegen die Pforte, die sie ihm zuliebe nur zu gern öffnen würde. Sie sah Johann in die Augen und fragte sich, wie viel Wahrheit er vertragen würde.
»Bitte erzähl mir doch etwas von dir«, bat Johann eindringlich. »Etwas Belangloses. Irgendetwas. Du musst ja nicht gleich mit den schlimmsten Sünden beginnen. Ich möchte nur ein wenig mehr über die Frau wissen, in die ich mich verliebt habe.«
Hatte er das wirklich gesagt oder bildete sie sich das nur ein? Annalena schwirrte der Kopf. War es vielleicht ein Vorwand, um hinter ihr Geheimnis zu kommen? Doch wenn er es ernst meinte, würde ihn die Wahrheit nicht schrecken. Oder?
»Was ist, wenn gerade das Schlimme das ist, was mich ausmacht?«, fragte sie, und jetzt war Johann derjenige, der verwirrt dreinschaute.
»Hast du dir in der Vergangenheit etwas zuschulden kommen lassen? Wenn ja, dann lass dir gesagt sein …«
Annalena
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