Das Land der Pelze
Macht des Orkanes hatte sich die Insel also nahezu in derselben Parallele gehalten und ihre Lage nur in Folge der Strömung gegen Westen hin verschoben. Nun befand sie sich gegenüber der Behrings-Straße, jedoch mindestens vierhundert Meilen nördlich vom Ostcap und dem Cap Prince-de-Gallas, welche die engste Stelle der Straße bezeichnen.
Diese neue Lage gab sehr ernsthaft zu denken. Mit jedem Tage näherte sich die Insel jenem großen Kamtschatka-Strome, der, wenn er sie einmal ergriff, sie weit nach Norden verschlagen mußte. Binnen Kurzem stand die Entscheidung ihres Schicksals bevor: entweder verharrte sie zwischen den beiden gegnerischen Strömen unbewegt bis zum Festwerden des umgebenden Meeres, oder – sie verlor sich in den Einöden der hyperboräischen Regionen.
Jasper Hobson, der sehr peinlich erregt seine Unruhe doch vor Anderer Blicken verbergen wollte, zog sich in sein Zimmer zurück und erschien den ganzen Tag nicht wieder. Die Karten vor den Augen setzte er seine ganze Erfindungsgabe, seinen ganzen praktischen Verstand daran, eine Lösung zu finden.
Die Temperatur sank weiter um einige Grade, und die abendlichen Nebel des südöstlichen Horizontes schlugen sich während der Nacht als Schnee nieder. Am anderen Tage maß die weiße Decke schon zwei Zoll – endlich kam der Winter.
An diesem Tage, den 3. September, beschloß Mrs. Paulina Barnett, den Küstenstrich zwischen Cap Bathurst und dem Cap Eskimo auf einige Meilen hin zu durchstreifen. Sie wollte die Veränderungen in Augenschein nehmen, die der Sturm der eben vergangenen Tage dort veranlaßt haben könnte. Jasper Hobson hätte, wenn sie diesem von ihrer Absicht Kunde gab, sich gewiß zu ihrer Begleitung angeschlossen. Da sie ihn aber bei seinen Ansichten über jene Veränderungen belassen wollte, entschied sie sich, nur in Gesellschaft Madge’s aufzubrechen.
Eine Gefahr schien ja nicht zu besorgen. Die einzigen wirklich zu fürchtenden Thiere, die Bären, hatten die Insel seit dem Erdbeben verlassen. Zwei Frauen konnten sich demnach, ohne den Vorwurf der Unklugheit zu verdienen, wohl auf einen nur für wenige Stunden berechneten Ausflug in die Umgebungen des Forts hinaus wagen.
Madge ging ohne Widerrede auf Mrs. Paulina Barnett’s Vorschlag ein, und Beide stahlen sich, ohne Jemand davon Kenntniß zu geben, mit dem einfachen Schneemesser, einer Kürbisflasche und einer Reisetasche ausgerüstet, schon um acht Uhr Morgens davon, stiegen den Abhang des Caps hinab und lenkten ihre Schritte nach Westen.
Schon glitt die Sonne langsam über den Horizont hin, denn selbst bei ihrer Culmination erhob sie sich nur auf wenige Grade. Ihre schrägen Strahlen waren aber hell, eindringend, und schmolzen an Stellen, die sie unmittelbar beschienen, noch den leichten Schneeteppich weg.
Zahlreiche Vögel aller Art flatterten in Schwärmen umher und belebten die Küste. Die Luft hallte von ihrem Geschrei wieder, wenn sie, je nachdem das süße oder salzige Wasser sie anlockte, unaufhörlich zwischen der Lagune und dem Meere hin-und herflogen.
Mrs. Paulina Barnett machte auch die Bemerkung, wie zahlreich die verschiedensten Pelzthiere sich in der nächsten Nachbarschaft von Fort-Esperance aufhielten. Ohne Mühe konnte die Factorei wohl ihre Magazine füllen; aber zu welchem Zwecke wäre das jetzt geschehen?
Diese unschuldigen Thiere, welche zu wissen schienen, daß ihnen kein Jäger nachstelle, gingen und kamen mit zunehmender Vertraulichkeit bis an die Palissaden heran. Ihr Instinct mochte ihnen verrathen haben daß sie auf dieser Insel gefangen seien, gefangen wie deren Bewohner, und daß Alle ein gemeinschaftliches Schicksal theilten. Höchst eigenthümlich erschien es aber, und war übrigens Mrs. Paulina von Anfang an nicht entgangen, daß Marbre und Sabine, zwei so leidenschaftliche Jäger, dem Befehle des Lieutenants, die Pelzthiere jetzt ausnahmslos zu schonen, so ohne jede Uebertretung nachkamen und nicht die geringste Lust zeigten, das kostbare Wild mit einem Büchsenschusse zu begrüßen. Füchse und Andere entbehrten freilich noch ihres Winterpelzes, was ihren Werth sehr beträchtlich herabsetzte, aber doch genügte dieser Grund wohl kaum, die auffallende Lustlosigkeit der beiden Nimrods zu erklären.
Im wackeren Zuschreiten faßten Mrs. Paulina Barnett und Madge bei der Unterhaltung über ihre ganz fremdartige Lage den sandigen Saum der Küste immer aufmerksam in’s Auge. Die Verwüstungen, welche das Meer in jüngster Zeit verursacht
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