Das Land der Pelze
Hobson an.
»Und diese wäre …? fragte sie.
– Vorgestern, Madame, war Vollmond, und die Fluth hätte in Folge dessen sehr hoch sein müssen. Nun, und gerade da hat sich das Meer nicht nur nicht um einen Fuß, nein, es hat sich ›gar nicht‹ gehoben.
– Dann haben Sie sich wohl getäuscht, bemerkte die Reisende dem Lieutenant.
– Ich habe mich nicht getäuscht und die Beobachtung auch selbst angestellt. Vorgestern, am 4. Juli, war die Fluth gleich Null an der Küste des Cap Bathurst, bestimmt gleich Null.
– Und was schließen Sie daraus, Herr Hobson? fragte Mrs. Paulina Barnett.
– Daraus schließe ich, Madame, erwiderte der Lieutenant, entweder, daß die Naturgesetze sich verändert haben, oder daß dieses Land sich unter ganz besonderen Verhältnissen befindet … oder vielmehr, ich schließe noch gar nichts – ich erkläre es nicht – aber ich bin darüber unruhig.«
Mrs. Paulina Barnett drang nicht weiter in Lieutenant Hobson. Offenbar war dieses vollkommene Ausbleiben der Fluth unerklärlich, unnatürlich, so wie es unnatürlich wäre, wenn die Sonne zu Mittag nicht im Meridian erschiene.
Wenn die Erderschütterung die Formation des Küstenlandes und der arktischen Länder überhaupt nicht geändert hatte … doch diese Hypothese genügte einem strengen Beobachter terrestrischer Erscheinungen nicht.
Daß der Lieutenant sich bezüglich seiner Beobachtung getäuscht habe, war auch nicht wohl anzunehmen, und noch an demselben Tage – am 6. Juli – constatirten Mrs. Paulina Barnett und er durch am Ufer angebrachte Marken, daß die Fluth, welche seit einem Jahre immer um einen Fuß zu steigen pflegte, jetzt Null, vollständig Null war!
Ueber diese Beobachtung versprach man sich zu schweigen. Lieutenant Hobson hatte auch guten Grund, seine Leute auf keine Weise zu beunruhigen. Ost aber konnten sie ihn allein, schweigsam und unbeweglich sehen, wie er von der Spitze des Caps das jetzt noch offene Meer betrachtete, das vor seinen Blicken lag.
Im Juli mußte nun die Jagd auf Pelzthiere aufgegeben werden. Marder, Füchse und andere Thiere hatten schon ihre Winterfelle verloren. Man verfolgte also nur eßbares Wild, wie canadische Rennthiere, Polarhasen und andere, welche, wie Mrs. Paulina Barnett selbst bemerkte, sich sonderbarer Weise in der Umgebung des Cap Bathurst sichtbarlich vermehrten, während die Schüsse der Jäger sie doch vielmehr daraus hätten vertreiben sollen.
Am 15. Juli hatte sich noch nichts an der Sachlage geändert.
Von Fort-Reliance war keine Nachricht eingetroffen; die erwartete Sendung erschien nicht. Jasper Hobson beschloß also, sein Vorhaben auszuführen und zum Kapitän Craventy zu senden, statt dieser zu ihm.
Natürlich konnte der Führer dieses kleinen Detachements kein Anderer sein, als Sergeant Long, der sich jedoch von dem Lieutenant nicht gern trennen wollte. Es handelte sich hierbei in der That um eine lange Abwesenheit, denn nach Fort-Esperance konnte man vor dem nächsten Sommer nicht zurückkehren, was also einer Trennung von mindestens acht Monaten gleich kam. Mac Nap oder Raë hätten zwar den Sergeanten ersetzen können, doch diese beiden wackeren Soldaten waren verheiratet. Ueberdies war der eine als Zimmermann, der andere als Schmied in der Factorei, welche Beider Dienste nicht entbehren konnte, nothwendig.
Das waren die Gründe, welche bei Lieutenant Hobson den Ausschlag gaben und denen Sergeant Long sich »militärisch« fügte. Die vier Soldaten, welche ihn begleiten sollten, und sich auch dazu bereit erklärten, waren Belcher, Pond, Petersen und Kellet.
Vier Schlitten nebst der nöthigen Bespannung an Hunden wurden für die Reisenden bestimmt. Außer Lebensmitteln sollten sie Pelze, welche man unter den kostbarsten, wie Füchse, Hermeline, Zobelmarder, Schwäne, Luchse, Bisams und Vielfraße, auswählte, mitnehmen.
Die Abfahrt wurde auf den 19. Juli, den Tag nach der Sonnenfinsterniß, festgesetzt. Selbstverständlich sollte Thomas Black den Sergeant Long begleiten und einer der Schlitten zum Transport seiner Person und der Instrumente dienen.
Es verdient erwähnt zu werden, daß der würdige Gelehrte während der Tage, die der von ihm so ungeduldig erwarteten Erscheinung vorhergingen, ganz unglücklich war. Der Wechsel zwischen gutem und schlechtem Wetter, die Häufigkeit der Dünste, die bald mit Regenwolken, bald mit feuchtem Nebel erfüllte Atmosphäre, der unsichere Wind, welcher sich auf keinem Punkte des Horizontes fixirte, Alles
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