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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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gesehen!«
    Jack Jingly stimmte sogleich zu: »Cully, ein Zauberer! Wär ’n Leckerbissen für die Kerle!« Molly Grue äußerte einige bösartige Verallgemeinerungen über die Gattung Zauberer, die Männer jedoch jubelten begeistert und warfen ihre Hüte in die Luft. Als einziger zeigte Captain Cully Zurückhaltung und protestierte traurig: »Aber die Lieder! Herr Child soll doch die Lieder hören!«
    »Das werde ich auch«, versprach ihm Schmendrick, »später.«
    Cullys Gesicht erhellte sich; er befahl seinen Männern, aus dem Weg zu gehen und Schmendrick Platz zu machen. Sie hockten sich hin oder streckten sich im Schatten aus, beobachteten beifällig lachend Schmendricks veralteten Humbug, mit dem er das Landvolk in der Mitternachtsmenagerie unterhalten hatte. Es war armselige Taschenspielerei, doch für Captain Cullys Bande schien sie ihm gut genug. Er hatte sich getäuscht. Zwar klatschten sie bei den Ringen und Tüchern, den mit Goldfischen gefüllten Ohren angemessenen Beifall, doch begeistert waren sie nicht. Er strahlte keinen Zauber aus und empfing keinen von seinem Publikum. Wenn ein Trick danebenging – zum Beispiel, als er ihnen verkündete, einen Herzbuben in einen Herzog zu verwandeln, den sie ausplündern könnten, und statt dessen eine Handvoll Herzkirschen zum Vorschein brachte –, applaudierten sie genauso freundlich und gutmütig, als wäre ihm diese Verwandlung geglückt. Sie waren ein ideales Publikum.
    Cully lächelte voller Ungeduld, Jack Jingly döste vor sich hin, doch die Enttäuschung in Molly Grues unruhigen Augen überraschte den Zauberer sehr. Er lachte plötzlich ärgerlich auf, ließ die sieben Bälle fallen, die heller und heller wurden, während er mit ihnen jonglierte (an einem guten Abend gelang es ihm bisweilen, sie Feuer fangen zu lassen), ließ diese ganzen verhassten Fertigkeiten fahren und schloss die Augen. »Tu, was du willst«, flüsterte er dem Zauber zu, »tu, was du willst!« Ein Seufzen durchlief ihn, das seinen Ursprung irgendwo hatte, vielleicht in seinem Schulterblatt oder im Schienbeinmark. Sein Herz schwoll- und straffte sich wie ein Segel im Wind, etwas in seinem Körper bewegte sich mit größerer Sicherheit als jemals zuvor. Es sprach gebieterisch, und es sprach mit seiner Stimme. Überwältigt von dieser Macht, sank er auf die Knie und wartete, wieder Schmendrick zu werden. ›Was hab’ ich getan? Ich habe etwas getan!‹
    Er schlug die Augen auf. Die Räuber lachten, fassten sich an die Stirn, waren froh über die Gelegenheit, sich über ihn lustig zu machen. Captain Cully hatte sich eifrig aufgerichtet, um das Ende dieses Teil der Unterhaltung zu verkünden. Da schrie Molly Grue mit weicher, schwankender Stimme auf; alle wandten sich, um zu sehen, was sie sah. Ein Mann betrat die Lichtung.
    Er war ganz in Grün gekleidet, bis auf ein braunes Wams und eine kecke braune Mütze, an der eine Schnepfenfeder stak. Er war sehr groß, zu groß für einen Menschen aus Fleisch und Blut; der Langbogen, der über seiner Schulter hing, schien größer als Jack Jingly zu sein, und die Pfeile hätten Speere oder Knüppel für Captain Cully abgegeben. Er nahm keine Notiz von den starren, schäbigen Gestalten am Feuer, sondern schritt durch das Licht und verschwand, ohne dass auch nur ein Atemzug, ein Tritt zu hören war.
    Andere folgten ihm, allein oder zu zweien; einige unterhielten sich, viele lachten, doch keiner machte das geringste Geräusch. Alle trugen Langbogen und grüne Gewänder, bis auf einen, der von Kopf bis Fuß in Scharlach gekleidet ging, und einen, der die braune Kutte eines Bettelmönchs trug; seine Füße steckten in Sandalen, ein Seil hielt seinen unförmigen Leib zusammen. Einer spielte die Laute und sang unhörbar.
    »Alan-a-Dale«, flüsterte der Grünschnabel Willie Gentle, »seht euch diese Griffwechsel an!«
    Mühelos stolz, anmutig wie Giraffen (selbst der größte von ihnen, ein sanftäugiger Gigant) zogen die Schützen über die Lichtung. Zuletzt kamen, Hand in Hand, ein Mann und eine Frau. Ihre Gesichter waren so schön, als hätten sie niemals Furcht oder Schrecken erfahren. Das reiche Haar der Frau schimmerte wie eine Wolke, die den Mond verhüllt.
    »Oh!« flüsterte Molly Grue, »Marian.«
    »Robin Hood ist eine Mythe«, sagte Captain Cully aufgeregt, »ein klassisches Beispiel der Heldengestalt im Volkslied, die sich aus zwingenden Gründen gebildet hat. Wie John Henry, oder viele andere. Die Menschen brauchen Helden, die sie aus

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