Das letzte Sakrament
hielt. Doch auch wenn sie nicht so aussah, sie hatte ein Schweizerkreuz auf dem Pass und ja, entgegen anderslautender Gerüchte galt auch in der Schweiz das Frauenwahlrecht. Wenn auch erst seit 1971.
»Ich bin Christian Vogt, der Spitalseelsorger«, sagte der Mann und gab Tamara die Hand. Sein Händedruck war weich und feucht. »Ich musste noch eine Salbung vornehmen … Es wäre unhöflich gewesen, das in fünf Minuten abzuwickeln.«
»Kein Problem«, antwortete Tamara und stand auf. »Können wir in ein Besprechungszimmer gehen?«
»Meinen Sie, es dauert so lange?«, fragte Vogt und strich sich über sein narbiges Kinn. Das Braun seiner Haare wirkte stumpf, und sein Gesicht war so blass, als habe er trotz des Hochsommers die Sonne schon lange nicht mehr gesehen. Am Revers seines schwarzen Anzugs steckte eine rote Aids-Schleife, daneben eine kleine Anstecknadel, auf der Jesus lebt stand.
Wie recht er auf einmal hat . Tamara musste beinahe grinsen. »Wie lange unser Gespräch dauert, hängt ganz von Ihnen ab.« Sie nickte ihm freundlich zu.
»Gut, dann folgen Sie mir bitte«, sagte Vogt und eilte durch einen langen Gang.
Sie setzten sich in einen leeren Pausenraum, der trotz des Rauchverbots im Spital verdächtig nach Zigarettenqualm roch. Ein weißer Tisch, vier Stühle und eine kleine Küchenecke standen darin. Im Ausguss der Spüle lag ein wenig Asche.
»Rauchen Sie?«, fragte der Priester, als wolle er ihr die Beichte abnehmen.
»Schon fast zwanzig Jahre nicht mehr«, antwortete Tamara, die jünger aussah als die vierundzwanzig Jahre, die in ihrem Pass standen.
Vogt sah sie irritiert an.
»In Haiti fängt man früh an«, erklärte Tamara und schmunzelte. »Dafür hört man auch schnell wieder auf, wenn man schlau ist.«
»Das habe ich noch vor mir«, antwortete der Priester. Er ging zum Fenster, öffnete es, steckte sich eine Zigarette an und lächelte verlegen.
»Haben Sie eigentlich engen Kontakt zu Bischof Johann Obrist?«, fragte Tamara.
»Ich bin nur ein unbedeutender Spitalseelsorger«, entgegnete Vogt und zog an seiner Zigarette. »Weshalb fragen Sie?«
»Weil Sie auch Jesuit sind.« Tamara zeigte auf Vogts Siegelring, in den die Buchstaben IHS eingraviert waren. »Die Gemeinschaft der Jesuiten in der Schweiz ist recht klein …«
»Die kirchlichen Ämter werden nicht nach Ordenszugehörigkeit vergeben«, erklärte der Priester. Es klang belehrend.
»Aber Sie kennen ihn?«, fragte Tamara.
»Nicht sehr gut«, antwortete Vogt. »Er hat lange Jahre in Rom gelebt. Er spricht einmal im Jahr zu den Mitgliedern unseres Ordens, bei der Gelegenheit wechsle ich ab und an ein paar Worte mit ihm.«
»Und wie gut verstehen Sie sich mit Generalvikar Simon Kunen?«
»Mit ihm habe ich häufiger zu tun«, sagte Vogt und seufzte kaum vernehmlich. »Er ist der Leiter der Ordenssektion.«
»Der Vikar ist nicht sehr beliebt, oder?«
»Ein Soldat bleibt immer ein Soldat«, antwortete der Priester. Er ging zur Spüle und drückte seine Zigarette aus. Dann schloss er das Fenster und blieb davor stehen. »Bruder Kunen ist ein großer Freund der Disziplin.«
»Das sind doch die meisten …«
»Nun … Kunen ist manchmal sehr gebieterisch.« Der Priester räusperte sich. »Ihm fehlt die ausgleichende Art des Bischofs.«
»Ich verstehe«, antwortete Tamara. In Wirklichkeit verstand sie gar nichts. Was hat Vogt gesagt? Ein Soldat bleibt immer ein Soldat! Was geht in einem Priester vor, der beim Militär dient? Waffensegnung war für Tamara Aerni Voodoo für Anfänger, nur in einen pseudoreligiösen Schafspelz verpackt. »Ich wusste gar nicht, dass der Vikar Soldat war«, sagte sie. »Hat er als Militärseelsorger gedient?«
»Soweit ich das weiß, war er damals noch kein Priester«, antwortete Vogt. »Kunen gehörte irgendeiner Eliteeinheit an. Er hat erst später zum Glauben gefunden.«
»Einer Eliteeinheit?«, wiederholte Tamara. Sie rief sich das Bild des Vikars in Erinnerung, er sah aus wie ein Marine , groß, breitschultrig, muskulös. »Eine ungewöhnliche Karriere, oder?«
»Mag sein.« Vogt zuckte mit den Schultern und blickte auf seine Uhr. »Haben Sie noch weitere Fragen? Ich verstehe nämlich nicht recht, was Sie von mir …«
»Sie wissen, dass der Bruder des Bischofs ermordet wurde?«, unterbrach ihn die Kommissarin.
Vogt nickte. »Es ist schrecklich, was mit Roland Obrist geschehen ist, aber …«
»Wie gut kannten Sie eigentlich den Laborleiter des Inselspitals, Herrn Dr.
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