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Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)

Titel: Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Martini
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ausgefüllt von ihm, und auf einmal spürte sie
    wieder seine Ablehnung, seine Kälte, sie hörte die Beschimpfungen ... Da stand
    sie auf und verließ das Zimmer.

    Was sie am Abend dazu
    veranlasste, ihren Koffer, den sie in der Abstellkammer hinter dem Schlafzimmer
    aufbewahrte, hervorzuholen und ihn zu öffnen, um ein schmales Büchlein mit
    einem dunkelroten Einband herauszuholen, das sie seit der Schiffsreise nicht
    mehr angerührt hatte, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht, weil es sie an
    jene Nacht erinnerte, in der sie in ihrem Innern Ja zu Paul gesagt hatte.
    Vielleicht auch, weil es sie daran erinnerte, dass es Wegkreuzungen im Leben
    gab, an denen man sich entscheiden musste. Sie setzte sich hinaus auf die
    Veranda. Wie ein Mahnmahl stand die weiße Kirche in der Nacht. Zum ersten Mal
    dachte sie bei ihrem Anblick an bleiches, totes Gebein ... und überhaupt:
    Ungewöhnlich leblos wirkte alles um sie herum. Kein Laut, kein Feuer drang von
    den Hütten zu ihr herüber, als wären die Bewohner fortgezogen. Jetzt fiel ihr
    ein, dass Amboora am Nachmittag weggegangen und seitdem nicht wiedergekommen
    war. Nur sie und John waren hier. Aus dem Fenster seines Arbeitszimmers
    sickerte ein fahles, einsames Licht in die Dunkelheit. Eine Weile war sie
    unschlüssig, ob sie hinübergehen sollte. Ihr war, als warte er auf sie. Doch
    irgendetwas hielt sie zurück. Sie wollte jetzt allein sein.
    Sie zündete die
    Kerosinlampe an. Der rote Leineneinband des Büchleins leuchtete hell. Sie
    blätterte die erste Seite auf.
    Für Emma.
    Es spiegeln die verblassenden Sterne
    das funkelnde Licht von Nächten,
    in denen man glücklich war für einen
    Moment.
    Sie sah hinauf in den
    Sternenhimmel. Ja, sie war mit ihm für Momente glücklich gewesen. Und er?
    Vielleicht auch, aber er hatte es ihr nie gesagt. Wie die Sterne glitzerten! Jeder
    Stern eine Verlockung, eine Verführung! Hatte sie die Zeichen übersehen? Hätte
    sie damals, auf dem Schiff, in jener Nacht, in der sie Max Jacobs geküsst
    hatte, erkennen müssen, dass sie und Paul doch nicht zusammengehörten?
    Ein Falter flatterte
    gegen den Glaszylinder der Lampe. Sie versuchte ihn zu verscheuchen, obwohl sie
    wusste, dass es zwecklos war. Er würde ins Licht fliegen, so lange, bis seine
    Flügel am heißen Glas verbrannten. Sie klappte das Büchlein zu. Warum konnten
    wir nicht anders mieinander sein, Paul? Wir hätten so viel zusammen schaffen
    können! Am Himmel leuchtete ein Stern auf und fiel dann brennend durch die
    funkelnde Nacht. Es war zu spät, um sich etwas zu wünschen. Sie wischte ihre
    Tränen weg und löschte das Licht. Der Falter lag tot neben der Lampe.

3
    Die Grabsteine warfen
    die langen Schatten des Morgens auf die rote Erde. Der Himmel war tiefblau und
    ohne eine einzige Wolke und die Sonne brannte heiß. In der Ferne, am Hang der
    Berge, drehte ein Raubvogel still seine Kreise. Auch die weißen Hunde waren
    ruhig. Nur das leise Geräusch von im Wind aneinander reibenden Sandkristallen
    war zu hören.
    Emma stand am Rand der
    Grube, die John gestern mit drei Helfern ausgehoben hatte, und betrachtete die
    Linien und Farben der Erdwände. Sie gleichen den Jahresringen eines Baums,
    dachte sie, und dann sah sie ihren Vater vor sich, dessen Körper in einem
    Massengrab, irgendwo in den Weiten des Sowjetreichs, in die Jahresringe der
    Erde einging ...
    Ein Geräusch riss sie
    aus ihren Gedanken. Sie sah über die Schulter zu den Eingeborenen, die sich
    zwischen den hinteren Grabsteinen zusammendrängten. Alle wichen ihrem Blick
    aus, auch Amboora und Isi. Wovor fürchteten sie sich? Oder war es Ehrfurcht?
    Sie wandte sich zur Schmiede, von wo John im schwarzen Talar herankam, hinter
    ihm vier Männer, die den Leichnam trugen, der wegen Holzmangel in weiße Tücher
    gehüllt war. Emma trat zur Seite, und die Männer legten ihn mit Johns Hilfe
    behutsam ins Grab. Mit gesenktem Blick eilten sie zu ihren Leuten und verschwanden
    in den hinteren Reihen, als müssten sie sich verstecken.
    John schlug die Bibel
    auf, hob den Kopf und räusperte sich. Seine Wangen waren eingefallen, seine
    Haut war gelblich, er war magerer geworden, doch sein Haar hatte er tadellos
    gescheitelt, und auch der Kragen strahlte blütenweiß. Nun sind nur noch wir
    beide übrig geblieben, dachte sie, und erinnerte sich an den langen Marsch
    durch die Wüste, sie sah Paul vor sich, der von Anfang an die Führung
    übernommen hatte, der furchtlos und unbeirrt voranschritt

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