Das Leuchten der purpurnen Berge (German Edition)
Pastors Emig etwa fünfzig
Gäste aus den umliegenden Dörfern des Tals versammelt, die ungeduldig die
Ankunft des neuen Pastorenehepaars für die Mission in Neumünster erwarteten.
Einer der Gäste war der achtundzwanzigjährige Lehrer und Missionar John
Wittling, der gerade einen Blick in die Küche warf, in der die Frauen in ihren
langen Kleidern und Schürzen geschäftig und lautstark mit Geschirr und Töpfen
hantierten und dabei schnatterten, als hätten sie seit Jahren nicht mehr sprechen
dürfen. So waren sie nun mal, die meisten Frauen! Albern. Er musste den Kopf
schütteln, nein, Isabel war nicht albern, ganz und gar nicht! Er dachte an ihre
telefonische Nachricht aus Glenelg heute Morgen. Sie fühle sich besser am Meer,
hatte sie gesagt und danach sofort einen Hustenanfall bekommen, sodass sie das
Gespräch hatte beenden müssen. Die trockene Wüstenluft Neumünsters, das sagte
auch der Arzt, war für ihr Asthma gänzlich ungesund. Er schob diese Sorge
beiseite. Es würde sich schon eine Lösung finden. Jetzt, wo er die Aufgabe
seines Lebens angehen würde, konnte er wegen Isabel nicht einfach alles
aufgeben. Er setzte Hoffnungen in ihren Schwager. Der kannte einige
medizinische Koryphäen - ganz sicher würde ihr jemand helfen können. Schluss jetzt
mit diesen Gedanken, befahl er sich und straffte seinen Rücken. Jetzt nicht ins
Grübeln kommen! Er holte Luft, rückte seinen gestärkten Kragen zurecht, obwohl
er richtig saß, und fuhr sich über sein
dunkelblondes Haar, das er stets mit äußerster Strenge akkurat
scheitelte. Wenn er mit der Handfläche darüber strich, spürte er, wie
sorgfältig glatt gekämmt es war. Das gab ihm die Gewissheit, dass alles in
Ordnung war. Er wippte auf den Fußspitzen und warf dabei einen prüfenden Blick
auf seine Schuhe. Wie makellos er sie poliert hatte, das Leder glänzte wie
schwarzer Marmor, stellte er mit Befriedigung fest. So war er gewappnet ...
gewappnet für ... Er stutzte kurz, dann wusste er es: für die Welt da draußen
...
Mit den Händen auf dem
Rücken trat er aus dem Esszimmer des nach deutscher Manier aus Steinen und
Balken errichteten Hauses hinaus auf die lange Veranda. Alle wichtigen
Persönlichkeiten der Lutherischen Kirche Südaustraliens hatte Pastor Emig mit
seiner Frau in ihrem Haus versammelt. Sie waren aus Adelaide und aus dem ganzen
Valley gekommen, aus den nahe
umliegenden Dörfern Nuriootpa, Lyndoch, Bethany, Gnadenfrei und Hoffnungsthal
– und aus Tanunda selbst. Die meisten waren deutscher Herkunft, sprachen
untereinander Deutsch, das er zwar verstand und auch selbst sprach, das in ihm
jedoch immer wieder gewisse Erinnerungen wachrief, die er am liebsten aus
seinem Gedächtnis getilgt hätte. Nun, er verstand die Sprache und musste nicht
fürchten, dass man über ihn redete, ohne dass er es bemerkte. Er traute ihnen
nicht. Streng genommen, so musste er zugeben, traute er niemandem – außer
sich selbst.
Er wippte noch einmal,
wobei er nicht widerstehen konnte, einen verstohlenen Blick auf seine
glänzenden Schuhe zu werfen, schob sich dann an den Gruppen von Gästen vorbei
zum Geländer der Veranda und legte seine Hände auf das warme, von der Sonne
beschienene Holz. Er beugte sich ein wenig vor, zupfte die weißen Manschetten
unter seiner schwarzen Jacke zurecht und stellte zufrieden fest, wie gepflegt
seine langen Hände waren. Seine leicht olivfarbene Haut, die sich unterhalb der
Augen etwas verdunkelte und ihm an manchen Tagen ein krankes Aussehen verlieh,
hatte er von seiner Mutter, einer Engländerin, deren Vorfahren irgendwann
einmal aus Vorderasien gekommen waren. Er merkte, wie sich beim Gedanken an
seine Mutter seine Hände ans Geländer krallten, und konzentrierte sich auf den
Ausblick. Von hier aus konnte man auf die Hauptstraße Tanundas hinuntersehen.
Häuser wie das von Pastor Emig reihten sich aneinander, sauber, ordentlich und
aus zuverlässigen Materialien erbaut: Bäckerei, Metzgerei, Kolonialwarenladen,
Schmiede, Schuster, die Post.
Ja, sie hatten allen
Grund, stolz zu sein, die fleißigen Deutschen, dachte er, und ließ seinen Blick
nach links schweifen. Auf der Wiese unter den Obstbäumen saßen die Männer von
der Blaskapelle, lachend und gut gelaunt, ihre Trompeten und Posaunen auf den
Knien, die flachen Strohhüte mit dem roten Band in den Nacken geschoben, und
warteten auf ihren Einsatz. Sein Blick glitt an den Musikern vorbei zu der
langen Tafel,
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