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Das Liebesspiel

Das Liebesspiel

Titel: Das Liebesspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dawn C Tripp
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die Main Road nach Norden rauf. Wenn man die Aufnahme studiert, denkt man vielleicht als Erstes, die Straße sei so wie heute, ein festgesetztes historisches Gebiet, sie sollte genauso aussehen, und auf den ersten Blick tut sie das auch, man bemerkt den Unterschied vielleicht gar nicht, solange man nicht an derselben Stelle steht und von dort gen Norden blickt. Denn dann würde einem auffallen, dass die Häuser heute größer sind, wuchtige dreigeschossige Kästen, Gauben, neue Flügel, seltsame überdimensionierte Anbauten, an die alten Saltbox- und halben Cape-Häuser gepfropft. Es sind Karikaturen von Häusern, herausgeputzte Blumengärten, Mauern aus Quadersteinen zur Straße hin.
    »Damals wollten wir einfach nur in Ruhe gelassen werden«, sagt Ada und legt das Foto von der Straße auf den Stapel der Dinge, die sie schon durchgesehen hat. Dann wieder: »Warum hast du das heute mitgebracht?«
    »Ich hab die Kiste einfach gefunden.«
    »Aber warum heute?«
    Wie soll ich es dir sagen?
    Als ich Carl heute Morgen bat, mich an der Ampel herauszulassen, damit ich über die Brücke gehen konnte, warst du es, Ada, die ich suchte. Doch als ich die Brücke überquerte, war es Huck, den ich sah, dort draußen, er fischte vom Boot aus Venusmuscheln, von diesem Boot aus, das, wie ich weiß, so viel bedeutet, draußen hinter dem Point of Pines.
    »Hast du gestern Nacht den Himmel gesehen, Janie?«, fragt sie nun. »Der Himmel gestern Nacht, der war wie ein Fluss. Die ganze Woche ist er schon so, in allen Nächten mit guter Sicht, alles klar und hell und still, dann wirkt es, als würden die Sterne läuten. In einer Nacht wie gestern schaut man hoch zum Himmel und die Schwärze dort oben wirkt so gesetzt, so stabil, so abgeklärt, dass man fast vergisst, was man weiß …«
    Sie überlegt. »Es gab eine Nacht«, fährt sie fort, »es ist schon über ein Jahr her. Ein Flusshimmel genau wie jetzt, das weiß ich noch, es war ein Donnerstag. Donnerstags ging Sara immer zu ihrer Gymnastik, zu diesem Pilotenyoga oder wie das heißt, deshalb hatte Huck seine kleine Enkeltochter Augusta da, und es war Abend, ich stand nach dem Essen an der Spüle in der Küche und wusch ab, da zupfte plötzlich was an meinem Rock, ich schaute nach unten, und da war sie in ihrem kleinen Baumwollnachthemd, ihrem Mantel und ihren roten Cowboystiefeln, das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, ein paar Strähnen standen raus, weil sie nie lange genug stillsitzt, damit man es ordentlich machen kann. Auf der Wange hatte sie einen braunen Fleck, von dem Schokoladenkeks, den Huck ihr gegeben hatte. ›Tomm, Oma‹, sagte sie. Das K kann sie noch nicht sprechen. Ihre kleinen Finger mit Schokolade verschmiert, zog sie mich zur Tür, während ich mir die Hände am Geschirrtuch abwischte, sie zerrte mich nach draußen auf die Veranda, auf die Hollywoodschaukel, und kletterte auf meinen Schoß. ›Oma, der Mond‹, sagte sie und zeigte nach oben. ›Mach ihn auf für mich.‹
    Als ich an dem Abend mit ihr draußen unter diesem Himmel auf der Schaukel saß, erzählte ich ihr nicht, was ich hätte erzählen können. Über den Mond. Dass es nur so aussieht, als würde er leuchten. Dass er selbst gar kein Licht hat. Nichts als ein kalter Felsbrocken ist. Knochentrocken. Keine Erinnerung an Wasser.
    Das konnte ich ihr nicht erzählen, genauso wenig wie ich ihr erzählen konnte, dass ich jedes Jahr abends nach draußen gehe, mich hinsetze und dort oben einen Himmelskörper entdecke, der den richtigen Abstand hat. Zwanzig, dreißig, vierzig Lichtjahre – das Licht, das ich sehe, ist schon lange unterwegs, daran messe ich die Zeit. Zähle ein weiteres Jahr, das ich gereist bin. Irgendein Stern, der nur das tut, was er immer tut, sein Leben verbrennt, sein Licht abgibt, ohne einen Gedanken an mich zu verschwenden. Verbrennt sich einfach, ohne zu wissen und sich vielleicht darum zu kümmern, ob ich hier unten bin und hochblicke, um das Licht aufzufangen, das er fallen lässt.
    Das konnte ich Augusta nicht erzählen, und wenn sie alt genug dafür ist, werde ich höchstwahrscheinlich irgendwo da oben in diesem schwarzen Raum sein und durch die Zeit fallen, so wie das Licht jetzt.
    Also sagte ich an dem Abend stattdessen zu ihr, dass sie den Großen Wagen für mich finden solle, und das tat sie, sie streckte die Hand aus, ihr Daumen und die anderen Finger formten ein L, sie nahm meine Hand, tat dasselbe mit ihr und richtete sie so aus, meine Finger an ihrem Daumen, mein

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