Das Lied der alten Steine
Woche.«
Anna fing im allgemeinen Gelächter einen Blick von Serena auf. Das Verhältnis der Ägypter zur Zeit war einer von Omars Lieblingsscherzen – ohne Zweifel wiederholte er ihn bei jeder neuen Reisegruppe. Sie hatte bereits beschlossen, sich im Bus auf der Fahrt zum Staudamm neben Serena zu setzen. Sie mussten wichtige Dinge besprechen.
Ihre Entscheidung wurde jedoch von Andy durchkreuzt, der, kaum dass sie sich niedergelassen hatte, den Sitz neben ihr in Beschlag nahm. »Sie haben doch nichts dagegen?«
Sie verbarg ihren Unwillen, obwohl sie unbedingt mit Serena sprechen musste. »Natürlich nicht.«
»Haben Sie Ihre Spukflasche dabei?« Seine Augen blitzten.
Sie warf einen Blick in den Reiseführer auf ihrem Schoß.
»Nein, ich habe sie in meiner Kabine gelassen.«
»Lind das Tagebuch?«
»Das Tagebuch auch. Beides in Sicherheit.«
»Hoffentlich.« Er sah sich im Bus um, während sich die Türen schlossen und der Bus den Quai verließ. »Toby scheint nicht bei uns zu sein. Ich wusste, dass Charley nicht kommen würde – sie ist nicht dazu imstande -, aber wo ist er? Ich dachte, er interessiert sich für den Staudamm.«
»Nun, was immer er für Gründe hat, es ist ja nicht so, dass er einfach durch meine Kabine laufen kann«, erwiderte Anna entschieden. Weiter vorne im Bus saß Serena. Soweit sie sehen konnte, allein.
»Hoffentlich haben Sie Recht.« Er verschränkte die Arme und grinste.
Andy wich nicht von ihrer Seite, nicht beim ersten Halt, wo ihnen gezeigt wurde, was vom Katarakt noch übrig war, nachdem man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts den ersten Damm gebaut hatte, und auch nicht, als sie beim großen Staudamm ankamen. Allmählich kam sie zu dem Schluss, dass er sich absichtlich zwischen sie und Serena drängte. Als sie aus dem Bus ausstiegen und oben auf dem gigantischen Betonbauwerk entlanggingen, um den Nassersee zu überblicken, den großen Binnensee, der durch den Damm entstanden war, wurde sie immer ärgerlicher.
»Das ist ganz schön beeindruckend, nicht?« Serena war ihnen gefolgt. »Aber es ist traurig, wenn man sich überlegt, wie viele Tempel und andere Dinge unter dem Wasser begraben sind.«
»Die wichtigen haben sie doch versetzt.« Andy trat zwischen sie.
Serena nickte. »Aber sie haben viele andere verloren. Der Damm hat nicht nur positive Seiten.«
»Nein?«, fragte Andy ungeduldig. »Wie meinst du das?«
»Nun, zum einen versalzen die Regionen am Unterlauf des Nils, weil die Strömung nicht mehr stark genug ist, das Meerwasser zurückzudrängen, zum anderen füllt sich der See mit dem ganzen Schlamm, den die alljährlichen Fluten auf die Felder gespült und sie damit gedüngt hatten.« Ihr Blick fiel auf Andys Gesicht und sie schüttelte den Kopf. »Ja, ich weiß, er hat Wunder gewirkt und jedermann hat jetzt Strom.«
Andy lächelte. »Was dem Wohlstand Ägyptens sehr gut getan hat. In wirtschaftlichen Dingen warst du noch nie sehr gut, meine Liebe.«
Anna sah, wie Serenas Wangen flammend rot wurden. »Es gibt Wichtigeres im Leben, als dass jedes Haus einen Fernseher hat.«
Andy blickte finster. »Natürlich. Und dann muss man auch noch an all die unglücklichen kleinen Vögelchen denken«, spottete er. »Und die armen vertriebenen Krokodile und all die empfindlichen magischen Dinge, die von den elektromagnetischen Feldern durcheinander gebracht werden.«
Serena schloss eine Sekunde lang die Augen und atmete tief.
»Hau ab, Andy. Verschwinde und geh jemand anderem auf die Nerven, sei ein guter Junge!«
Anna sah ungeduldig zwischen beiden hin und her und wechselte dann das Thema. »Da unten auf der Mauer ist eine Hündin, die Junge hat. Die will ich fotografieren. Habt ihr die sandfarbenen Hunde überall gesehen? Ich weiß nicht, ob sie wild sind oder bloß herumstreunen, aber anscheinend gehören sie niemandem.« Sie führte Serena von Andy weg, kurz darauf holte sie ihre Kamera heraus und begann, Schnappschüsse von den Tieren zu machen, die am Wasser spielten.
»Er hat Sie richtig ins Schlepptau genommen!« Serena sah Andy nach, der sich langsam von ihnen entfernte, den Blick rückwärts auf den Fluss gerichtet. »Sie haben wohl nichts dagegen?«
Anna lächelte unmutig. »Das Gericht tagt noch. Manchmal ist er ein bisschen besitzergreifend.« Sie warf Serena, die über den Nassersee schaute, einen Blick zu . Anna konnte hinter der dunklen Sonnenbrille ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen.
»Ich werde nicht ganz schlau aus manchen Dingen, die er
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