Das Lied der alten Steine
Soweit sie sehen konnte, war er in eine Art Träumerei versunken.
Schaudernd richtete sie sich auf. Einige Sekunden betrachtete sie ihn noch, dann wandte sie sich ab. Sie stellte sich ans Wasser, starrte auf die Felsen und fragte sich, ob sie versuchen sollte, ihn zu wecken. Gerade in diesem Moment tauchten die ersten Gestalten am Ausgang der Schlucht auf, mit Tauen über der Schulter. Innerhalb von Sekunden war der Fluss ein Durcheinander von schreienden, lachenden Männern, etwa jeweils ein Dutzend an jedem der vier Taue, die das schwere Schiff gegen die Stromschnellen zogen.
»Das ist ein grandioser Anblick, nicht wahr?«
Sie fuhr zusammen, als die nahe Stimme erklang. Carstairs stand dich neben ihr und blickte auf die Szene vor ihnen.
»In der Tat.« Sie sah ihn von der Seite an. Sein Gesicht lag im Schatten seines weißen Tropenhelms, sodass sie seine Augen nicht sehen konnte.
»Möchten Sie ein paar Skizzen machen? Ich packe so lange unser Essen aus und ich muss noch etwas Bakschisch für die Jungen holen. Sobald sie uns entdecken, werden sie für uns tauchen wollen.« Während sie sich wieder mit ihren Malsachen hinsetzte, war er auf einmal geschäftig, packte den Picknickkorb aus, legte das kleine Tischtuch hin und schenkte Wein ein.
Mit einem kurzen Triumphschrei schleppten die Männer das Schiff näher und Louisa konnte nun Augusta und Sir John auf dem Dach der Vorderkabine sehen. Sie sahen herauf und winkten.
»Wir werden bei ihnen einsteigen, sobald sie die erste Stromschnelle passiert haben.« Carstairs reichte ihr ein Weinglas. »Dann können Sie die Geschichte sozusagen vom anderen Ende des Taus aus erleben. Wollen wir darauf trinken?«
Er streckte ihr sein Glas entgegen, sodass sie sich gezwungen fühlte, das Gleiche zu tun. Eine Sekunde berührten sich ihre Hände, dann hob er das Glas an die Lippen. » Salute, schöne Dame.«
So sehr sie sich auch dagegen wehrte, sie musste ihm in die Augen blicken. Diesmal schaffte sie es nicht, sich loszureißen.
Sie war zu müde. Sie merkte, wie sie auf die Kissen zurücksank.
Er war ihr näher gerückt und beugte sich über sie. »Louisa, meine Liebe, darf ich dein Glas nehmen? Wir wollen es nicht verschütten, nicht wahr?« Sein Mund näherte sich ihrem Gesicht, seine Augen, die ihren Blick festhielten, groß wie Wirbel im Wasser, die sie zu verschlingen drohten. »Soll ich deinen Sonnenschirm so hinlegen, dass du mehr Schatten hast?
So.«
Die Augen fielen ihr zu. Sie konnte nichts dagegen tun. Sie spürte seinen Mund auf ihrem. Er war fest, bestimmend. Ein Schauer der Erregung fuhr durch ihre Adern, doch dann setzte er sich plötzlich auf.
» Yalla « , brüllte er, » Imschi! Geh weg!«
Ein kleiner Junge, nur mit einem Lendentuch bekleidet, stand tropfend neben ihnen auf dem Felsen.
Ermattet brachte sie sich in eine sitzende Position, da sah sie, wie der Junge sich umdrehte. Er sprang vom Felsen in das schäumende, aufgewühlte Wasser. »Oh mein Gott, er ertrinkt!«
Sie hörte ihre eigene Stimme nur wie von Ferne, schrill und erschrocken.
»Natürlich ertrinkt er nicht. Was glauben Sie denn, wie er hergekommen ist? Er ist nur hinter Bakschisch her.« Carstairs holte eine Hand voll Münzen aus seiner Tasche. Er warf sie hoch in die Luft und schaute zu, wie sie um den kleinen auf und ab hüpfenden Kopf ins Wasser fielen. In einer Sekunde war aus dem frechen Grinsen im Wasser ein Paar kleiner brauner Füße geworden.
»Ihr Wein, meine Liebe.« Er reichte ihr das Glas zum zweiten Mal. »Darf ich Ihnen auch etwas zu essen reichen?«
Es war, als wäre nichts geschehen. Verwirrt wischte sie sich über die Lippen. Er kniete vor dem Korb und holte Brot, hart gekochte Eier, Frischkäse und Obst heraus.
Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Wie kommen wir zurück auf die Ibis? « Das kam ihr auf einmal sehr wichtig vor. Sie wollte zurück zu den anderen.
»Das werden Sie schon sehen. Wenn sie vorbeikommt, ist es ganz leicht.« Er häufte Essen auf ihren Teller, als wäre sie ein kleines Kind, und setzte sich zwei Schritte von ihr entfernt hin.
Diesmal hatte er sie nicht direkt angeschaut.
Sie sah zum Sonnenschirm. Er war versetzt worden, sodass er sich nun zwischen dem Fluss und der Stelle befand, wo sie gelegen hatte. Niemand auf dem Schiff konnte gesehen haben, was geschehen war, wenn es denn tatsächlich geschehen war.
Verwirrt sah sie auf ihren Teller. Wenn sie vorher Appetit gehabt hatte, so war er ihr gründlich vergangen.
Schließlich
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